Was ist eine chronische Wunde?

Was ist eine chronische Wunde?

Eine Wunde wird als chronische Wunde bezeichnet, wenn sie trotz fachgerechter Therapie innerhalb von vier bis zwölf Wochen nach ihrer Entstehung keine Heilungstendenzen zeigt. Die Behandlung von chronischen Wunden erfolgt mit der modernen Wundbehandlung sowie der Therapie von ursächlichen Grunderkrankungen.

Die Abgrenzung zwischen akuten und chronischen Wunden ist in der Literatur über eine breite Zeitspanne gefasst. Abhängig von der Art der Wunde und weiteren wundrelevanten Faktoren schwankt die Sichtbarkeit erster Heilungstendenzen stark. Meistens sind primäre Erkrankungen die Ursache für die Entstehung chronischer Wunden. Erkrankungen wie Diabetes, chronisch venöse Insuffizienz (CVI) oder die periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) verursachen Durchblutungsstörungen, die wiederum zu verschiedenen chronischen Wundsituationen führen.

Chronische Wunden im Überblick

Die fachgerechte Therapie chronischer Wunden schließt zwingend die Behandlung der primären Erkrankung ein.

Man spricht dann von einer kausalen Behandlung oder Kausaltherapie. Für die Durchführung der Kausaltherapie sowie der passenden Wundversorgung müssen sowohl die Primärerkrankung als auch die Art der Wunde korrekt diagnostiziert sein.

Im Allgemeinen gilt für chronische Wunden dasselbe wie für alle Wunden: Die Wunde muss korrekt beurteilt werden, um die lokale Versorgung wundgerecht durchführen zu können. Eine Wundreinigung (Debridement) ist ebenfalls notwendig, um avitales Gewebe, Nekrosen, Beläge oder Fremdkörper zu entfernen. Diese beeinträchtigen die Wundheilung neben der Primärerkrankung zusätzlich. Die Wundbehandlung chronischer Wunden sollte grundsätzlich im Rahmen der modernen Wundversorgung idealfeucht erfolgen. In Abhängigkeit von der jeweiligen Wundsituation kann aber davon abgewichen werden.

Das Wundmanagement umfasst nicht nur die Versorgung von Wunden, es geht ebenso sehr um die Wundbeobachtung und Wundbeschreibung. Erst aus den Ergebnissen dieser beiden Punkte entwickelt sich das daraus resultierende Wundexsudat-, Wundrand-, Schmerz-, Ernährungs- und Bewegungsmanagement.

  • Die Lokalisation gibt uns eine genaue Benennung der Körperregion und sollte in einem Dokumentationsbogen gekennzeichnet werden.
  • Die Größe und Tiefe der Wunde zeigt uns den bisherigen Zustand und den Therapieerfolg einer Wunde bei Erstaufnahme eines Patienten.
  • Die Wundumgebung erzählt uns etwas über die Struktur der Haut, über Druck und Stauungsverhältnisse, über Einlagerungen oder Einblutungen ins Gewebe (Hämosiderose), über Infektionszeichen oder auch bestehende Allergien, über minderdurchblutete Areale, aber auch über das Wundexsudat, welches u.U. zu einer Mazeration des umliegenden Gewebes führen kann.
  • Der Wundrand ist der Übergang zum Wundgrund und bildet im besten Fall einen rosa, flachen und ebenen Saum, das sogenannte Epithelgewebe. Ist dieser Übergang eher feucht, mazeriert und zerklüftet, dann ist ein Wundrandschutz sinnvoll. Aus all diesen Kriterien ist der Heilungsverlauf einer Wunde gut zu erkennen.
  • Der Wundgrund gibt uns einen Eindruck in die Wundheilungsphasen. Zum einen kann der Wundgrund feucht sein, dann befindet er sich in der Proliferationsphase, in der sich die Wunde versucht selbst zu reinigen oder es sind körnige Granulationsinseln sichtbar, aus denen sich Epithelzellen bilden können und die wiederum sind die Vorbereitung auf den rosafarbenen Übergang zum Wundrand. Andere farbliche Unterschiede, wie gelblich-fibrinös oder schmierig-belegt und auch dunkelbraun, gefärbte nekrotische Beläge geben weiter Aufschlüsse über den Wundgrund.
  • Das Wundexsudat gibt uns ebenfalls Informationen darüber, in welcher Heilungsphase sich eine Wunde befindet und welche Grunderkrankung diese beeinflusst.
  • Infektionszeichen werden sichtbar durch Rötung, Schwellung, Erwärmung, Funktionseinschränkung und auch durch Schmerzen. Anhand einer Schmerzskala kann dann die Schmerzqualität beurteilt werden.

Um den Verlauf der Wundheilung sichtbar zu machen, sollte jede Wunde von Beginn an in all ihren Einzelheiten beschrieben und dokumentiert werden.

Ebenfalls zu chronischen Wunden werden können

Fallbeispiel: Ulcus cruris venosum
Ulcus cruris venosum Wunde

Das Ulcus cruris venosum gehört zu den chronischen Wunden. In diesem Fallbeispiel erfahren Sie anhand von Bildern und einem umfangreichen Wundverlauf, wie diese Wunde bei einer Patientin geheilt werden konnte.

Fallbeispiel lesen

Welche Arten chronischer Wunden gibt es?

Chronische Wunden entstehen durch mangelnde Durchblutung im Wundbereich und zeigen meist charakteristische Eigenschaften.

Die häufigsten chronischen Wunden sind:

  • Dekubitus: Andauernder Druck, z. B. bei bettlägerigen Personen, unterbricht den Blutfluss im Gewebe. Dadurch werden die Haut und darunter liegendes Gewebe lokal geschädigt.
  • Ulzera: Ein Ulkus ist eine Schädigung der Haut bis in die Dermis hinein oder noch tiefer. Ulzera entstehen aufgrund von Infektionen, Immunreaktionen oder Gefäßkrankheiten. Die CVI verursacht das Ulcus cruris venosum, während das Ulcus cruris arteriosum durch arterielle Gefäßverschlüsse (pAVK) entsteht. Das Ulcus cruris mixtum ist eine Mischform aus Ulcus cruris venosum und Ulcus cruris arteriosum. Ein zirkulär den Unterschenkel umspannendes großflächiges Ulcus cruris nennt man Gamaschenulkus.
  • Diabetisches Fußsyndrom: Durch eine reduzierte Schmerz- und Druckwahrnehmung bemerken Diabetiker Verletzungen häufig nicht, insbesondere, wenn die Wunden an den Füßen auftreten. Hinzu kommt, dass die Wundheilung durch mangelnde Durchblutung beeinträchtigt ist.
Chronische Wunde am Fußknöchel
Chronische Wunde am Fußknöchel

Video: Akute & chronische Wunden – Welches Produkt auf welche Wunde?

Bei Start des Videos werden Informationen an YouTube/Google übermittelt. Mehr hierzu unter: Google Datenschutzerklärung.

Expertenstandard chronische Wunden

Jede chronische Wunde verursacht körperliche Beeinträchtigungen wie z. B. Schmerzen.

Die Bildung von übermäßig viel Exsudat und ein übler Geruch aus der Wunde sind ebenfalls sehr belastend. Hinzu kommt, dass chronische Wunden einen selbstbestimmten Alltag und die Bewegungsfreiheit Betroffener einschränken.

Der „Expertenstandard Pflege von Menschen mit chronischen Wunden“ vom Deutschen Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) berücksichtigt vor allem das Alltagsleben der Betroffenen und ihrer Angehö­rigen. Sowohl die chronische Wunde als auch die Therapie verursachen Einschränkungen. Im Expertenstandard ist die Aufgabe der Pflege als „…die Förderung und Erhaltung des gesund­heitsbezogenen Selbstmanagements und des Wohlbefindens der Betroffenen“ [1] definiert.

Die S3-Leitlinie "Lokaltherapie schwerheilender und/oder chronischer Wunden aufgrund von peripherer arterieller Verschlusskrankheit, Diabetes Mellitus oder chronischer venöser Insuffizienz” der Deutschen Gesellschaft für Wundheilung und Wundbehandlung e.V. (unter Beteiligung zahlreicher anderer Fachgesellschaften) berücksichtigt ebenfalls die Einschränkung von Lebensqualität durch chronische Wunden. Sie bezieht sich auf die Lokaltherapie von Ulcus cruris (arteriosum, venosum und mixtum) sowie diabetische Fußulcera. Die Leitlinie richtet sich an „Personen und Berufsgruppen, die sich im Rahmen ihrer Tätigkeit mit der Versorgung und/oder Behandlung von Patient*innen Wunden im Zielgebiet der Leitlinie befassen oder an Entscheidungen beteiligt sind, die die Betroffenen angehen“ [2]. Sie umfasst ambulante, stationäre und rehabilitative Einrichtungen.

Die Leitlinie liefert Algorithmen zu:

  • Anamnese, Diagnostik, Dokumentation und Behandlungsplan
  • Wundreinigung
  • Wundauflagen

Die Leitlinie liegt in Version 2.2 vom 31.10.2023 vor und ist gültig bis zum 10.09.2028.

Die Behandlung chronischer Wunden schließt Maßnahmen zur Förderung des Wohlbefindens der Betroffenen sowie die Kausaltherapie mit ein. Diese Maßnahmen finden in Expertenstandards und Leitlinien zur Therapie chronischer Wunden Berücksichtigung.

An wen richtet sich der Expertenstandard?

Konkrete situations- und institutionsbedingte Umsetzungsvorschläge macht der Expertenstandard nicht.

Der Fokus des Expertenstandards liegt auf den häufigsten chronischen Wundarten Dekubitus, Diabetisches Fußsyndrom (Diabetischer Fußulcus) und Ulcus cruris (venosum, arteriosum und mixtum). Fünf am Pflegeprozess orientierte Handlungsebenen geben Empfehlungen, wie die Pflegefachkraft Betroffene aktiv in die Maßnahmen zur Wundheilung einbeziehen kann.

Beginnend mit der Einschätzungsebene erfolgt die Einholung der medizinischen Wunddiagnose und der Primärerkrankung. Außerdem erfasst die Pflegefachkraft psychische und physische Besonderheiten sowie andere patientenindividuelle Faktoren. Auf der Planungsebene planen Pflegefachkraft und Betroffene sowie deren Angehörige gemeinsam Maßnahmen für die Therapie.

Auf der Durchführungsebene koordiniert die Pflegefachkraft die Versorgung durch weitere beteiligte Experten, wie Ärzte/Ärztinnen, Physiotherapeuten/-therapeutinnen und andere Berufsgruppen. Die Pflegefachkraft schult auf der Beratungsebene Betroffene und deren Angehörige im Umgang mit wund- und therapiebedingten Einschränkungen. Die Schulung dient der Förderung von Mithilfe bei der Wundversorgung.

In festgelegten Abständen (spätestens nach 4 Wochen) prüft die Pflegefachkraft die lokale Wundsituation sowie die Wirksamkeit der Maßnahmen. Dies findet zusammen mit einem/einer pflegerischen Fachexperten/-expertin auf der Beurteilungsebene statt. Die Beurteilung schließt ggf. auch Änderungen in Absprache mit allen an der Versorgung beteiligten Personen, inklusive der Betroffenen und deren Angehöriger, ein.

Die fünf Handlungsebenen im Expertenstandard sind in Strukturkriterien, Prozesskriterien und Ergebniskriterien unterteilt:

  • Unter den Strukturkriterien sind Anforderungen an die Einrichtung sowie die Pflegefachkräfte genannt. Dazu gehört die Bereitstellung von Experten, Materialien, Hilfsmitteln und Ähnlichem auf Seite der Einrichtung. Seitens der Pflegefachkräfte muss entsprechendes Fachwissen sowie Kompetenz zur Kommunikation, Führung und Anleitung Betroffener vorhanden sein.
  • Die Prozesskriterien dienen dem Ziel der Verbesserung der Lebensqualität von Betroffenen und beschreiben die Aufgaben der Pflegefachkraft. Diese beinhalten die pflegerische Anamnese sowie Einholung der medizinischen Diagnose. Weiterhin planen und koordinieren Pflegefachkräfte die Maßnahmen und gewährleisten die hygienische und fachgerechte Wundversorgung.
  • Die Ergebniskriterien beinhalten Anforderungen an die Dokumentation. Die Dokumentation schließt individuelle Voraussetzungen sowie die Maßnahmenplanung für den jeweiligen Betroffenen ein. Die Durchführung, Wirkung und Änderung von Maßnahmen sind laufend dokumentiert.

Der Expertenstandard dient als Handlungsgrundlage für Pflegefachkräfte in stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen sowie in Krankenhäusern.

Was ist bei Kindern zu beachten?

Häufige Wunden bei Kindern sind Druckulzera, thermische Verletzungen, chirurgische Wunden sowie Wunden im Windelbereich durch andauernde Exposition mit Urin und Kot.

Die Haut von Früh- und Neugeborenen ist zudem anfällig für Infektionen. Bakterien, Viren, Pilze und ihre Toxine können die Hautbarriere in dem Lebensalter noch leicht überwinden. Außerdem führen Erkrankungen, wie Epidermolysis bullosa, bereits im Kindesalter zu Wunden, die häufig chronisch werden.

Grundsätzlich sind für Kinder dieselben Prinzipien wie aus der Wundversorgung für Erwachsene anwendbar. Einzelne Aspekte, wie z. B. der hygie­nische Umgang mit der Wunde, können aus dem Expertenstandard auch auf Kinder übertragen werden. Jedoch sieht der Expertenstandard die generelle Übertragbarkeit auf Kinder als kritisch an. Die Wundreinigung zur Entfernung von ausgedehnten Nekrosen und dicken Belägen chronischer Wunden stellt für Kinder eine starke Belastung dar. Deshalb kommt für Kinder fast nur ein chirurgisches Debridement unter Narkose in Betracht.

Besonders zu beachten ist, dass insbesondere bei Neugeborenen und Säuglingen die Epidermis und Dermis noch nicht stark zusammenhalten. Das führt leicht zur Bildung von Blasen und wirkt sich auch auf die Verwendung von Wundauflagen aus. Herkömmlich klebende Pflaster können bei ihrer Entfernung die Epidermis mit abreißen. Daher sollten keine Wundauflagen verwendet werden, die mit einem Klebestoff oder Klebeband fixiert werden müssen.

Für die Wundversorgung eigen sich stattdessen Wundauflagen mit Silikon-Haftrand (DracoFoam haft sensitiv), die sich hautfreundlich ablösen lassen und dennoch zuverlässig haften. Ebenfalls gut geeignet sind nicht selbsthaftende Wundauflagen (DracoFoam), die mit Fixierbinden (DracoSumbi, DracoElfi) fixiert werden.

Kinderhaut hat grundsätzlich ein besseres Heilungspotenzial als Erwachsenenhaut. Andererseits ist die Haut von Früh- und Neugeborenen auch anfällig für Wundprobleme.

Video: Chronische Wunde nach Corona – Was jetzt zu beachten ist!

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Literatur

Die Autorin Dr. Roxane Lorenz
Dr. Roxane Lorenz

Nach ihrem Studium der Biologie an der Ruhr-Universität Bochum promovierte Dr. Lorenz zum Dr. rer. nat. Seit 2012 ist sie in der medizinisch-wissenschaftlichen Abteilung bei Dr. Ausbüttel tätig, seit 2018 auch als Leiterin dieser Abteilung sowie der Forschungsabteilung.