Suchtmittel und Wunden – eine komplexe Herausforderung

Suchtmittel und Wunden – eine komplexe Herausforderung

Fast alle Drogen wirken sich auf die Haut und auf vorhandene Wunden aus. Bei der Behandlung geht es jedoch nicht allein um die Wundversorgung, sondern auch um psychosoziale Aspekte. 

Auswirkungen von Suchtmitteln auf Haut und Wunden

Auch wenn dieses Beispiel fiktiv ist, macht es deutlich: Der Konsum von Drogen und das Auftreten von Haut- und Wundproblemen hängen eng zusammen. Dabei sind die Auswirkungen abhängig von dem Suchtmittel selbst, der Dosierung und den individuellen Umständen. Einige Beispiele:

Heroin

Die Injektion von Heroin kann das Risiko von Wunden sowie Haut- und Weichteilinfektionen erhöhen. Meist finden die Injektionen in einer unsterilen Umgebung statt, es werden bereits verwendete Nadeln genutzt oder diese mit anderen Heroinabhängigen geteilt. Dies erhöht das Risiko einer bakteriellen Infektion mit ernsthaften Komplikationen wie Sepsis, Gangrän, Amputation und Tod.1 Häufig kommt es auch zu Abszessen, da die injizierte Substanz nicht steril ist oder andere Bestandteile untergemischt sind.2

Der 35-jährige Peter T. ist schon seit 17 Jahren heroinabhängig. Er wird mit einer offenen Oberschenkelwunde in die Notaufnahme aufgenommen. Er erzählt, dass er sich mit einem scharfen Gegenstand verletzt habe, wahrscheinlich unter Drogen. Die Wunde ist etwa sieben Zentimeter lang und zwei Zentimeter tief. Sie ist gerötet, geschwollen und eindeutig entzündet. Der zuständige Arzt und die Pflegekraft schauen sich die Wunde an, reinigen sie unter aseptischen Bedingungen und verbinden sie anschließend. Peter T. ist in der Klinik bereits bekannt. Sein allgemeiner Gesundheitszustand ist durch den langjährigen Drogenkonsum und die unzureichende Ernährung deutlich beeinträchtigt. Er ist untergewichtig und anämisch. Zum Arzt gehe er nur, wenn es gar nicht anders geht, sagt er. Wie kann es mit Peter T. weitergehen?

Methamphetamin

Diese Substanz, vor allem als „Crystal Meth“ bekannt, hat eine aufputschende und stimmungsaufhellende Wirkung.3 Der Konsum hat zahlreiche gesundheitliche Folgen, auch auf die Haut. Vor allem Suchtkranke, die Crystal Meth täglich konsumieren, erleben häufig ein sogenanntes Ameisenlaufen, ein Gefühl, das sich anfühlt, als würden Insekten auf oder unter der Haut krabbeln (auch Meth-Milben genannt). Das führt dazu, dass die Konsumenten anhaltend an der Haut rupfen und kratzen, was zu Geschwüren führen kann, die häufig vernarben. 

Auch ein hoher Mangel an Sauberkeit kann mit einem erhöhten Risiko von Hautinfektionen verbunden sein. Zudem konnte in Studien unter Meth-Konsum eine beeinträchtigte Wundheilung festgestellt werden.4

Kokain/Crack

Kokain, auch „Schnee“ oder „Koks“ genannt, ist ein farbloses Pulver, das aus den Blättern des südamerikanischen Kokastrauchs hergestellt wird. Eine Sonderform des Kokains ist Crack, das geraucht werden kann.5 

Kokain kann sowohl die Haut selbst schädigen als auch innere Organe, was wiederum Schäden an der Haut begünstigen kann. Die Liste der möglichen Hautprobleme ist lang und beinhaltet unter anderem Nekrosen, Schwärzung der Handflächen, auch „Crack Hands“ genannt, chronische Hautgeschwüre und die Hauterkrankung Pustulose, die mit dem Auftreten eitergefüllter Bläschen (Pusteln) einhergeht.6

Der Umgang mit einem Wundpatienten, der Crystal Meth konsumiert, kann eine komplexe und herausfordernde Aufgabe sein.

Crystal Meth und Wundversorgung

Alkohol

Regelmäßiger hoher Alkoholkonsum hat vielfältige Folgen für alle Organsysteme und damit auch für die Haut. Die Haut erscheint stumpf und trocken, da übermäßiges Trinken zur Austrocknung führt. Auch erweitert Alkohol die Blutgefäße, was zu einem geröteten Hautbild, vor allem im Gesicht, führen und Hautkrankheiten wie Rosazea begünstigen kann. Weitere schwere Hautprobleme können Akne, Ekzeme, Psoriasis (Schuppenflechte), Urtikaria (Nesselsucht) und vorzeitige Hautalterung sein. Auch das Risiko von Hautkrebs ist erhöht.7

Nikotin

Zigarettenrauch enthält mehr als 250 bekannte Toxine, darunter Nikotin, Kohlenmonoxid, Blausäure und Stickoxid, die über unterschiedliche Mechanismen die Wundheilung beeinträchtigen.8 Nikotin verringert zum Beispiel durch Vasokonstriktion die Durchblutung der Haut, was zu einer Minderdurchblutung des Gewebes (Ischämie) führt. Auch erhöht es das Risiko eines thrombotischen mikrovaskulären Verschlusses und damit die Gefahr einer Gewebe-Ischämie.9 Ebenso begünstigt Nikotin neben weiteren klassischen Risikofaktoren das Auftreten der chronischen Gefäßkrankheit pAVK. Der Zusammenhang zwischen Rauchen und verzögerter postoperativer Wundheilung konnte in zahlreichen Studien nachgewiesen werden.8

Weitere Folgen des Suchtmittelkonsums

Der längerfristige Suchtmittelkonsum beeinflusst in der Regel auch die Lebensumstände der Betroffenen im hohen Maße. So entstehen haut- und wundbedingte Probleme nicht nur durch die Droge selbst, sondern auch durch weitere Faktoren:

  • Verunreinigungen der Droge, zum Beispiel bei der Herstellung oder beim Verkauf auf der Straße,
  • intravenöser Konsum mit unsterilen Nadeln und Substanzen,
  • ungesunde Verhaltensweisen, wie schlechte Ernährung, zu wenig Schlaf und mangelnde Körperpflege.6

Unter Drogenkonsum kommt es zudem leichter zu Unfällen und Verletzungen, die zu Wunden führen können (s. Fallbeispiel). Die ungesunde Lebensweise begünstigt einen Nährstoffmangel mit geschwächtem Immunsystem. Mögliche Folgen sind bakterielle Entzündungen und Pilzinfektionen der Haut.7 Besonders bei Patienten mit übermäßigem Alkoholkonsum besteht auch die Gefahr, dass Alkohol die normale Nahrung ersetzt. Zudem können Verdauungstrakt und Leber die (ohnehin reduzierte) Nahrung nicht so gut verstoffwechseln, was Mangelzustände mit Auswirkungen auf die Wundheilung begünstigt.7 

Häufigkeit des Konsums von Drogen

Etwa 17,8 Millionen Erwachsene zwischen 18 und 64 Jahren und etwa 481.000 Jugendliche zwischen 12 und 17 Jahren haben laut aktueller Schätzungen mindestens einmal in ihrem Leben eine illegale Droge konsumiert. Cannabis nimmt dabei die größte Rolle ein, der Anteil der anderen Drogen ist deutlich geringer.10 Im Jahr 2021 sind etwa 118.000 ambulante Beratungen und Behandlungen, wegen Problemen mit illegalen Substanzen, erfolgt.11

Laut Zahlen aus 2019 konsumieren 7,9 Millionen Menschen zwischen 18 und 64 Jahren Alkohol in gesundheitlich riskanter Form. Einen problematischen Alkoholkonsum weisen etwa neun Millionen dieser Altersgruppe auf. Dabei geht ein missbräuchlicher Alkoholkonsum mit Risiken für zahlreiche chronische Erkrankungen sowie Unfälle einher. 2016 starben in Deutschland 19.000 Frauen und 43.000 Männer an einer Todesursache, die ausschließlich auf Alkohol zurückzuführen ist.12

Ein längerfristiger Suchtmittelmissbrauch kann wie dargestellt zu einer Reihe von Hautproblemen führen, zum Beispiel zu Infektionen, Abszessen, chronischen Wunden und Hautschäden. Gerade bei injizierten Drogen ist die Wundrate sehr hoch. In einer Studie mit 152 Teilnehmenden, die sich zum Zeitpunkt der Befragung Drogen injizierten, gaben 17,8 Prozent einen akuten Abszess und 19,7 Prozent eine chronische Wunde an.13

Riskanter Alkoholkonsum

Laut Robert-Koch-Institut (RKI) sei ein täglicher Reinalkoholkonsum von mehr als 10 g bei Frauen und mehr als 20 g bei Männern als riskanter Alkoholkonsum einzustufen. Er wird als riskant bezeichnet, da sich ab dieser Trinkmenge das Risiko schädlicher Folgen für die körperliche und geistige Gesundheit steigert.14

Informationen zum Selbstscreening

Zur Beurteilung, ob das eigene Konsumverhalten von Alkohol problematisch ist, empfiehlt die WHO (World Health Organization) eine Einschätzung über das Screening-Verfahren AUDIT (The Alcohol Use Disorders Identification Test, übersetzt: Test zur Identifizierung von Alkoholkonsumstörungen). Bei diesem Testverfahren werden Probanden mittels 10 Fragen zu ihrem Konsumverhalten im letzten Jahr befragt. Die Antworten sind je nach Frequenz und Menge des Trinkverhaltens unterschiedlich bepunktet. Dabei kann eine Zahl zwischen 0 und 40 Punkten erreicht werden. Ab einem Schwellenwert von 8 Punkten wird von einem problematischen Alkoholkonsum (Hinweis auf Abhängigkeit) gesprochen. In diesem Fall wird von der WHO empfohlen, Kontakt zum Hausarzt oder einer Beratungsstelle aufzunehmen.15

Wichtige Aspekte bei der Wundbehandlung

Bei der Wundbehandlung von Menschen mit Suchtmittelkonsum geht es nicht allein um die Wundversorgung, sondern vielfach auch um psychosoziale Aspekte. Dabei sollten vor allem folgende Aspekte berücksichtigt werden.

Ganzheitliche Versorgung: Es ist von entscheidender Bedeutung, sowohl die Wunde als auch die Suchterkrankung in den Blick zu nehmen. Dabei ist zu bedenken, dass Menschen mit Drogenabhängigkeit oft mit sozioökonomischen und psychischen Problemen sowie Stigmatisierung konfrontiert sind. Das kann sich auf ihre Fähigkeit auswirken, die Wundbehandlung einzuhalten.1

Spezielle Unterstützungsprogramme: Speziell bei Drogen, die intravenös injiziert werden, kommt es häufig zu Haut-, Wund- und Weichteilinfektionen. Gleichzeitig nehmen diese Personen nur selten medizinische Hilfe in Anspruch. Hilfreich ist es, wenn Betroffene frühzeitig in sogenannte Spritzenserviceprogramme eingebunden werden. Diese klären die Betroffenen über sichere Injektionspraktiken auf und stellen Injektionsmaterialien zur Verfügung. Auch die Bereitstellung von sauberem Wundversorgungsmaterial kann helfen, Wundkomplikationen zu reduzieren.1

Vermeiden von Stigmatisierung: Die Herausforderungen für das behandelnde Gesundheitspersonal sind groß. Vor allem in den USA nehmen Drogenmissbrauch und damit auch Haut- und Wundprobleme deutlich zu. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, Vorurteile und Stigmatisierungen zu vermeiden und mehr aufzuklären. Drogenkonsum kann viele Gründe haben, wie eine nicht behandelte psychische Erkrankung oder eine genetische Veranlagung. Es braucht Mitgefühl und Verständnis für diese Gruppe von Menschen.2

Schulung des Gesundheitspersonals: Um Menschen mit Suchtmittelabhängigkeit bestmöglich zu behandeln, braucht es vonseiten des Gesundheitspersonals mehr Wissen über Drogenmissbrauch, Hautprobleme und Wundversorgung. Eine gute Schulung ist hier ein wichtiger Bestandteil.2

Nach der Wundversorgung führt der behandelnde Notfallmediziner ein einfühlsames Gespräch mit Peter T. Es geht ihm vor allem darum, die aktuelle Lebenssituation des 35-jährigen drogenabhängigen Mannes besser zu verstehen und seine Bereitschaft zur Veränderung zu fördern. Gemeinsam mit einem Psychologen, einer weiterqualifizierten Pflegekraft und dem Sozialarbeiter der Klinik erarbeitet das Team einen Behandlungsplan. Bei diesem geht es nicht vorrangig um die akute Wunde, sondern auch um die langfristige Verbesserung seiner Lebensqualität. Dazu nimmt das Team Kontakt mit der städtischen Suchtberatungsstelle auf. Peter T. erklärt sich bereit, mit der Beratungsstelle zusammenzuarbeiten. Zu einer Suchttherapie sei er aber noch nicht bereit, sagt er. Vorstellen könne er sich aber eine Aufnahme ins Methadonprogramm. Zu den Verbandwechseln kommt er jetzt regelmäßig in die Klinik. Er hat Vertrauen zu den behandelnden Ärzten gefasst und nimmt die Follow-up-Termine von sich aus wahr.

Literatur:

Die Autorin Michelle Eisenberg
Michelle Eisenberg, examinierte Pflegekraft

Michelle Eisenberg ist examinierte Pflegekraft mit der Zusatzqualifikation Praxisanleitung in der Pflege.
Sie hat sowohl in der ambulanten als auch stationären Pflege Erfahrung gesammelt.
Seit einiger Zeit arbeitet Frau Eisenberg im Kundenservice von Dr. Ausbüttel im Bereich Beratung.