Sepsis: So erkennen Sie die ersten Anzeichen
Eine Sepsis ist immer ein Notfall. Sie ist die schwerste Komplikation einer Infektion – und oft lebensbedrohlich. Je früher sie erkannt wird, desto besser die Prognose. Auf welche Warnzeichen sollten Pflegekräfte achten?
Die ersten Anzeichen einer Sepsis sind oft unspezifisch. So auch bei Sandra Geppner (Name geändert), die nach einem Routineeingriff im Bauchraum fast ein halbes Jahr im Krankenhaus lag. Nach dem Eingriff kam es bei der 45-Jährigen immer wieder zu postoperativen Leckagen am Darm („undichter Darm"), was zahlreiche Notfall-Operationen und einen langen Intensivaufenthalt notwendig machte. An einem Morgen ging es ihr plötzlich sehr schlecht, sie hatte starke Schmerzen und fühlte sich „wie gerädert“. Ihr Intensivpfleger bemerkte diese Veränderung und erkundigte sich nach ihrem Befinden. Sandra Geppner schilderte: „Mir ist, als ob ein Backstein auf meiner Brust liegt." Der Pfleger rief sofort einen Arzt, der tatsächlich erste Anzeichen einer Sepsis feststellte und direkt eine Behandlung einleitete.
Sepsis – ein Notfall mit schweren Folgen
Sandra Geppner hatte großes Glück, dass ihr Pfleger die Symptome frühzeitig erkannte und schnell handelte. Denn eine Sepsis ist ein medizinischer Notfall, der in Deutschland häufig übersehen wird – mit oft tödlichen Folgen. Laut der Initiative „Deutschland erkennt Sepsis“ erkranken in Deutschland rund 230.000 Menschen an einer Sepsis, mindestens 85.000 Menschen sterben daran.1 Das sind etwa 30-mal mehr Todesfälle als durch Verkehrsunfälle im Jahr 2022 (2.782 Menschen).2
Sepsis ist die schwerste Verlaufsform einer Infektion, die bei verschiedenen Erkrankungen wie einer Lungenentzündung (Pneumonie), infizierten Wunden oder nach Operationen auftreten kann. Dabei gerät der Körper außer Kontrolle: Die Erreger gelangen in den Blutkreislauf, und das Immunsystem reagiert mit einer übermäßigen Aktivierung. Diese überschießende Reaktion schädigt nicht nur die Erreger, sondern auch gesunde Organe wie Lunge, Herz und Niere. Ohne rasches Eingreifen kann es zu Multiorganversagen und einem septischen Schock kommen. Unbehandelt endet eine Sepsis oft tödlich..3
Selbst wenn eine Sepsis erfolgreich behandelt wird, bleiben Betroffene oft nicht ohne Folgen. Bis zu 75 Prozent der Überlebenden leiden an Langzeitfolgen, die ihr berufliches und privates Leben stark beeinträchtigen können. Dazu gehören:1
- Chronische Müdigkeit
- Kognitive Einschränkungen (z. B. Gedächtnisverlust oder Konzentrationsprobleme)
- Neuromuskuläre Schäden und Gleichgewichtsstörungen
- Depressionen und chronische Schmerzen
In schweren Fällen kommt es während der Sepsis zu einer Sauerstoffunterversorgung, die beispielsweise das Gewebe in Gliedmaßen dauerhaft schädigt. Dies führt zu Nekrosen, die oft Amputationen von Fingerkuppen, Zehen oder ganzen Gliedmaßen erforderlich machen.4
Der Begriff Sepsis ist bei Patienten oft unter dem Begriff Blutvergiftung bekannt. Allerdings ist diese Bezeichnung irreführend. Denn hierbei handelt es sich nicht um eine „Vergiftung“, sondern um eine fehlregulierte Immunantwort des Körpers auf eine Infektion.5,6
Erste Anzeichen und Sepsis-Symptome im Verlauf
Gerade in der frühen Phase einer Sepsis sind die Symptome oft unspezifisch und könnten auf viele Erkrankungen hindeuten. Die Sepsis-Symptome verändern sich zudem im weiteren Verlauf. Dadurch wird das Erkennen einer Sepsis oft erschwert. Im Folgenden sind die Anzeichen und Symptome der verschiedenen Phasen einer Sepsis beschrieben.
Symptome in der Frühphase einer Sepsis
In der Frühphase einer Sepsis sind die Symptome oft unspezifisch, können aber wichtige Hinweise auf den Notfall geben. Typische Anzeichen sind:
- Fieber (> 38 °C) oder Untertemperatur (< 36 °C), besonders bei sehr jungen oder alten Patienten7
- Schüttelfrost, Schwitzen oder ein starkes Krankheitsgefühl3
- Kurzatmigkeit und Hyperventilation (beschleunigte Atmung)
- Tachykardie (erhöhte Herzfrequenz) und Herzrasen
- Veränderungen des Bewusstseinszustands, wie Verwirrtheit oder Desorientierung8
- Hautveränderungen: feuchte, warme oder gerötete Haut; kalte Extremitäten
Weitere Symptome hängen von der zugrunde liegenden Infektion ab. So können z. B. Husten, Brustschmerzen und Atemnot bei einer Pneumonie vorliegen (3).3 Je früher die Therapie einsetzt, umso größer die Heilungschancen.6
Symptome bei fortgeschrittenem Sepsis-Verlauf
Bei einer fortgeschrittenen Sepsis treten deutliche Warnsignale auf, die sofortiges Handeln erfordern:9
- Niedriger Blutdruck (systolische Werte < 100 mmHg)
- Erhöhte Atemfrequenz (> 22 Atemzüge pro Minute)
- Starke Bewusstseinsstörungen, z. B. Verwirrtheit oder Desorientierung
- Kühle und blasse Haut, oft mit Zyanose (bläuliche Verfärbung) und Marmorierung, insbesondere an Händen und Füßen
Im späteren Verlauf verschlechtert sich die Durchblutung. Beispielsweise entstehen kleine Blutgerinnsel (Mikrothromben) und können die Kapillaren blockieren, wodurch die Sauerstoffversorgung der Organe stark beeinträchtigt wird. Dies kann zu schwerwiegenden Komplikationen wie Schlaganfall, Nierenversagen oder Herzinfarkt führen, da die betroffenen Organe plötzlich ausfallen.3
Symptome eines septischen Schocks
Im Endstadium der Sepsis kann es zum septischen Schock kommen. Dies ist ein kritischer, lebensgefährlicher Zustand, der häufig zum Tod führt. Dabei kommt es unter anderem zu extremem Blutdruckabfall mit MAD-Werten (Mittlerer arterieller Druck) unter 65 mmHg.8 Ausgelöst wird diese extreme Hypotonie durch Entzündungsbotenstoffe, die eine starke Erweiterung der Blutgefäße bedingen. Die gefährliche Folge: Die Organe werden nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt und versagen – man spricht auch vom septischen Multiorganversagen. Selbst bei intensivmedizinischer Behandlung liegt die Sterblichkeitsrate bei septischem Schock noch bei etwa 30 Prozent innerhalb von 30 Tagen.9
Im Jahr 2016 hat die internationale Arbeitsgruppe der „Sepsis-3 Task Force“ den Begriff Sepsis auf Basis wissenschaftlicher Kriterien neu definiert. Die Bezeichnung „schwere Sepsis“ gilt seitdem als veraltet, da jede durch eine Infektion ausgelöste fehlregulierte Körperreaktion mit (drohenden) Organfunktionsstörungen als ein akut lebensbedrohliches Ereignis betrachtet wird. Der Begriff einer „leichten Sepsis“ entfällt somit ebenfalls.
Zur Beurteilung von Sepsis-assoziierten Organdysfunktionen empfiehlt die Deutsche Sepsis-Gesellschaft die Anwendung des Sequential Organ Failure Assessment (SOFA). Dieser Score bewertet sechs Organsysteme nach vier Schweregraden, wobei jedem System eine Punktzahl von 0 bis 4 zugeordnet wird. Insgesamt können bis zu 24 Punkte vergeben werden, um den Schweregrad der Organdysfunktion zu erfassen. Bewertet werden dabei:10, 12
- Herz-/-Kreislauf (Mittlerer arterieller Blutdruck und Katecholamine wie z.B. Dopamin)
- Zentrales Nervensystem (Bewusstseinslage z.B. wach, desorientiert)
- Lunge (Oxygenierung)
- Leber (Bilirubinwerte)
- Niere (Kreatininwerte)
- Gerinnung (Thrombozytenanzahl)
Jedoch ist dieses Assessmentinstrument sehr aufwendig und wird deshalb primär von Pflegekräften auf Intensivstationen genutzt.
Diese beiden Begriffe stehen in der Fachliteratur oft in engem Zusammenhang. Ein SIRS (übersetzt: systemisches inflammatorisches Antwort-Syndrom) unterscheidet sich zum Sepsis-Begriff darin, dass eine systemische entzündliche Reaktion des Körpers sich mit oder ohne Infektion z.B. nach einer großen Operation oder Verbrennungen darstellen kann. Somit ist eine SIRS mit Infektion eine Sepsis und eine SIRS ohne Infektion nicht. Beide Diagnosen zeigen ein ähnliches Bild an Symptomen. In der ICD-Klassifikation („International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems") werden SIRS oder Sepsis je nach Ursache ihrer Entstehung zugeordnet und verschlüsselt.10,11,12
Siehe auch:
Scoring-Systeme in der WundversorgungTypische Risikofaktoren für eine Sepsis
Grundsätzlich kann jeder Mensch mit einer Infektion an einer Sepsis erkranken – unabhängig vom Erreger (z. B. Bakterien, Viren, Pilze) oder dem primären Entzündungsherd. Einige Personen haben jedoch ein erhöhtes Risiko, insbesondere wenn ihre Infektionsabwehr geschwächt ist. Zu den Risikogruppen zählen:
- Säuglinge unter einem Jahr
- Ältere Menschen ab etwa 60 bis 65 Jahren
- Schwangere
- Menschen mit chronischen Erkrankungen wie Diabetes, Rheuma oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Ein erhöhtes Risiko besteht auch bei Personen, die:
- Immunsuppressive Medikamente einnehmen, wie Chemotherapeutika oder Kortikosteroide
- an Erkrankungen des Immunsystems (z. B. Krebs oder AIDS) leiden
- kürzlich eine Antibiotikatherapie erhalten haben9
Patienten mit invasiven Zugängen tragen ebenfalls ein erhöhtes Risiko für eine Sepsis. Dazu gehören:
- Venenkatheter oder zentrale Katheter
- Harnwegkatheter (Gefahr der Urosepsis)
- Drainagen oder Beatmungsschläuche
Diese Zugänge können Eintrittspforten für Bakterien sein, die eine Infektion oder Sepsis auslösen können. Je länger solche Medizinprodukte im Körper verbleiben, desto größer ist die Gefahr.
Auch folgende Faktoren können die Wahrscheinlichkeit einer Sepsis erhöhen:
- Fehlende Impfungen
- Alkohol- oder Drogenmissbrauch (siehe auch: Suchtmittel und Wunden)
- Fehlen der Milz (z. B. nach Splenektomie)
- Wunden (oberflächliche oder tiefe, z. B. Dekubitus)
- Künstliche Implantate wie Herzklappen oder Gelenke
- Tierbisse, Insektenstiche oder Reisen in tropische Länder
Die Sepsis-Checkliste
Die Sepsis-Checkliste richtet sich an Pflegekräfte und die allgemeine Bevölkerung. Mithilfe der Checkliste soll es diesem Personenkreis ermöglicht werden, eine akute Erkrankung besser einzuschätzen und das Rettungspersonal mit zusätzlichen wichtigen Informationen zu versorgen. Die Checkliste wurde von der Sepsis-Stiftung im Rahmen des SepWiss-Projekts erarbeitet.13
Bei der Checkliste geben die Nutzer die Risikofaktoren, Verdachtszeichen einer Infektion sowie Anzeichen einer lebensbedrohlichen Sepsis an. Anhand dieser Angaben wird eine Empfehlung gegeben, ob eine sofortige ärztliche Abklärung, z. B. über die 116 117 (ärztlicher Bereitschaftsdienst) notwendig ist oder ob ein Notfall vorliegt – also sofort die 112 gerufen werden muss. Auch wird darauf hingewiesen, dass sich bei Risikofaktoren die Wahrscheinlichkeit einer Sepsis erhöht, auch wenn (noch) keine Anzeichen einer Sepsis vorliegen. Die Checkliste ist als ergänzendes Tool zu verstehen und sollte immer zusammen mit einer ärztlichen Einschätzung verwendet werden.
Die Sepsis-Stiftung hat verschiedene Sepsis-Checklisten (Für Erwachsene und für Kinder) entwickelt.13 Informationen zu weiteren Projekten der Sepsis-Stiftung erhalten Sie unter sepsis-stiftung.de/projekte/.
Diagnose und Behandlung
Eine Sepsis ist ein medizinischer Notfall, der immer stationär im Krankenhaus behandelt werden muss. In schweren Fällen sogar auf der Intensivstation.
Zur Bestätigung der Verdachtsdiagnose werden verschiedene Untersuchungen durchgeführt:
- Blutkulturen zur Identifikation des Erregers
- Bildgebende Verfahren wie Röntgen (z. B. des Brustkorbs), Ultraschall oder CT, um die Infektionsquelle zu lokalisieren
- Entnahme von Gewebeproben oder Kulturen, z. B. aus Wunden oder Abszessen
- Laboruntersuchungen, darunter:
- Leukozytenzahl (kann erhöht oder erniedrigt sein)
- Thrombozytenzahl
- Weitere Blutparameter
Eine Sepsis wird vermutet, wenn ein Patient mit einer bestehenden Infektion plötzlich Symptome wie Fieber oder Untertemperatur, Herzrasen, eine erhöhte Atemfrequenz oder niedrigen Blutdruck entwickelt.9 Die Behandlung muss selbst bei noch unbestätigtem Verdacht sofort beginnen, da jede Verzögerung die Überlebenschancen drastisch verringert:
- Sofortige Gabe von Breitbandantibiotika intravenös – ohne auf Testergebnisse zu warten
- Kreislaufstabilisierung durch Flüssigkeitszufuhr (intravenös)
- Überwachung und ggf. Unterstützung der Sauerstoffsättigung, z. B. durch Sauerstoffgabe über eine Nasensonde
- Bei starkem Blutdruckabfall: Gabe von vasoaktiven Medikamenten zur Stabilisierung
Ein entscheidender Bestandteil der Therapie ist die Beseitigung der Infektionsquelle. Dazu können folgende Maßnahmen erforderlich sein:
- Entleerung von Abszessen
- Entfernung von Kathetern, Sonden oder anderen medizinischen Vorrichtungen, die die Infektion verursacht haben könnten
Patienten mit einem septischen Schock oder schwerer Erkrankung werden umgehend auf die Intensivstation verlegt,3,9 um eine engmaschige Überwachung und lebensrettende Maßnahmen sicherzustellen.
Weitere Informationen zur Sepsis-Behandlung sind in der aktuellen „S3-Leitlinie Sepsis – Prävention, Diagnose, Therapie und Nachsorge" nachzulesen.
AMWF: S3-Leitlinie SepsisPrävention – wie lässt sich eine Sepsis vermeiden?
Der effektivste Weg, eine Sepsis zu verhindern, ist die Vermeidung von Infektionen. Sowohl Patienten als auch Sie als Pflegefachkraft können aktiv dazu beitragen, das Infektionsrisiko zu minimieren. Maßnahmen sind:
- Hygiene: Sorgfältige persönliche Hygiene und konsequente Händedesinfektion im Pflegekontext sind essenziell.
- Impfungen: Regelmäßige Schutzimpfungen, wie z. B. die Grippeimpfung ab 60 Jahren, können das Risiko von Infektionen senken.
- Invasive Zugänge prüfen: Bei Venen- oder Harnwegkathetern sollte die Notwendigkeit regelmäßig überprüft und die Zugänge bei fehlender Indikation entfernt werden.
- Sorgfältige Wundversorgung: Akute und chronische Wunden müssen hygienisch versorgt und regelmäßig kontrolliert werden, um Infektionen zu vermeiden.
Wunden spielen bei der Entwicklung einer Sepsis eine vergleichsweise untergeordnete Rolle. Mit etwa 9 % sind sie als Sepsis-Ursache eher selten. Die häufigsten Ursachen für eine Sepsis sind Infektionen der:
- Lunge und Atemwege (40 % der Fälle)
- Ableitenden Harnwege (20 %)
- Bauchhöhle (12 %)14
Rolle der Pflegekräfte
Sie nehmen als Pflegefachkraft eine Schlüsselrolle in der Vermeidung und Früherkennung einer Sepsis ein. Beispielsweise beraten Sie Patienten und Angehörige durch Ihr Fachwissen über die Infektionsprophylaxe. Informieren Sie etwa über die Einhaltung von Hygienemaßnahmen oder zum Verhalten bei Verdacht auf eine Sepsis. Zudem erkenn Sie eine beginnende Infektion durch Ihre Nähe zu den Patienten meist zuerst. Beispielsweise fallen Ihnen Symptome wie Fieber, Schüttelfrost oder plötzliche Verwirrtheit auf. Durch rechtzeitige Information und Einleitung ärztlicher Maßnahmen tragen Sie entscheidend dazu bei, schwere Verläufe zu verhindern. Wie im Fall von Sandra Geppner gezeigt, kann Aufmerksamkeit und Intuition in der Pflege lebensrettend sein.