Adhärenz

Adhärenz

Die Adhärenz beschreibt in der Medizin die Einhaltung der gemeinsam gesetzten Therapieziele von Patient und Behandler (Arzt/ Physiotherapeut, etc.). Der Erfolg einer Therapie hängt wesentlich von der Mitarbeit und Motivation der Patienten ab. 

Im Gegensatz zur gemeinsamen Mitbestimmung bei der Adhärenz beschreibt die Compliance lediglich das Befolgen von Therapiemaßnahmen, welche durch den Behandler festgelegt wurden. 

Was ist Adhärenz?

Adhärenz ("Adherence to therapy") beschreibt das Ausmaß, zu dem das Verhalten einer Person - hinsichtlich Medikamenteneinnahme, Diätbefolgung und/oder Lebensstiländerungen - mit den vereinbarten Empfehlungen eines medizinischen Behandlers übereinstimmt1. Diese Bezeichnung hat den mittlerweile veralteten Begriff der „Compliance“ abgelöst.

Wie kann die Therapieadhärenz gesteigert werden?

Eine hohe aktive Mitwirkung der Patientinnen und Patienten und die gemeinsame Formulierung von konkreten Therapiezielen helfen bei der Umsetzung des Therapieplans.

Viele Menschen benötigen Unterstützung, um ihr Gesundheitsverhalten langfristig zu ändern. Folgende generelle Vorgehensweisen fördern die Adhärenz2:

Selbstvertrauen stärken

Ob und inwieweit sich eine Person zutraut, eine anstrengende Behandlung auch bei Schwierigkeiten durchhalten zu können, bestimmt maßgeblich über den Behandlungserfolg. Eine positive Einschätzung über die eigenen Kompetenzen bezogen auf ein bestimmtes Verhalten (Selbstwirksamkeit) ist Voraussetzung für die Umsetzung von Therapieplänen.

Die Selbstwirksamkeitserwartungen von Patientinnen und Patienten sind positiv beeinflussbar durch:

  1. Positive Erfahrung der Betroffenen oder anderer Personen
  2. Verbale Überzeugung
  3. Physiologische Zustände wie angenehme bzw. unangenehme Körperempfindungen

Patientenedukation

Gut informierte und aufgeklärte Patientinnen, Patienten und Angehörige sind essenziell, um eine effektive und erfolgreiche Behandlung zu gewährleisten. Wenn Menschen ihre Krankheit und deren Auswirkungen verstehen, sind sie eher bereit, die Bedeutung einer konsequenten Behandlung zu erkennen. Betroffenen sollten Einblicke in die verschiedenen verfügbaren Behandlungsansätze ermöglicht werden. Wenn Patientinnen und Patienten wissen, dass es verschiedene Möglichkeiten gibt, ihre Erkrankung zu behandeln, können sie gemeinsam mit der Ärztin oder dem Arzt die beste Wahl für ihre individuelle Situation treffen. Außerdem sollte die Durchführung von Therapiemaßnahmen, wie die korrekte Insulininjektion an bestimmten Körperstellen zur Vermeidung von Lipodystrophien, vermittelt werden. Viele Behandlungen können Nebenwirkungen verursachen, die die Adhärenz beeinträchtigen können. Durch eine angemessene Aufklärung über mögliche Nebenwirkungen und deren Bewältigung können Ängste und Unsicherheiten reduziert werden, was zu einer besseren Therapieeinhaltung führt.

Ziele gemeinsam erarbeiten und verschriftlichen

Häufig nehmen sich Menschen zwar bestimmte Verhaltensweisen vor, können sie dann aber nicht in die Tat umsetzen. Die Formulierung von konkreten Handlungsplänen und Therapiezielen zusammen mit der Patientin oder dem Patienten hilft bei der Umsetzung des Therapieplans. Wenn sich Betroffenen bewusst für Therapiemaßnahmen entschieden haben, übernehmen sie eher Mitverantwortung für die Behandlung. Fremdverordnete Maßnahmen geraten schneller in Vergessenheit. Neben den Betroffenen sollte auch das soziale Umfeld mit in die Behandlung bzw. Edukation einbezogen werden. Partnerinnen und Partner können beispielsweise beim Anziehen von Anti-Thrombosespritzen helfen. Veränderungen der gesundheitlichen oder persönlichen Situation der Patientin oder des Patienten sollten durch die Ärztin oder den Arzt dokumentiert werden und können im Verlauf eine Reevaluation der Therapieziele erforderlich machen. 

Überzeugungen, Bedürfnisse und Wünsche ermitteln

Eine Auseinandersetzung mit den Überzeugungen und dem Wissen über die Krankheit einer Patientin oder eines Patienten ist lohnenswert. Sachlich falsche Annahmen oder problematische Überzeugungen können so korrigiert werden. Die individuellen Bedürfnisse und Wünsche der Betroffenen, beispielsweise in Bezug auf die Verabreichungsart und -häufigkeit von Medikamenten sollten von der behandelnden Person immer ernst genommen werden. Über den „Kopf hinweg zu entscheiden“ wirkt sich negativ auf die Adhärenz aus.

Wenig hilfreich: Angst machen

Furchtappelle (wie beispielsweise auf Zigarettenschachteln) oder der „erhobene Zeigefinger des Arztes“ erzielen eher kurzfristige Effekte. Sie können auch zum Herunterspielen des Risikos oder zu Widerstand führen. Langfristig ist eine Risikokonfrontation nur hilfreich, wenn man gleichzeitig die Bewältigungskompetenzen der Betroffenen stärkt.

Was ist der Unterschied zwischen „Compliance“ und „Adhärenz“?

Die Begriffe Compliance („Therapietreue“) und Adhärenz („Ausmaß, in dem das Verhalten einer Person mit vereinbarten Therapieempfehlungen übereinstimmt“) sind nicht gleichbedeutend.

Der Begriff Compliance steht für „Therapietreue“. Er bezieht sich auf die Tatsache, dass sich Patientinnen und Patienten für einen Therapieerfolg an ärztliche Anweisungen halten müssen.

Anders als das Compliance-Konzept betrachtet das Adhärenz-Konzept Patientinnen und Patienten als aktive Partner in einer Behandlungsvereinbarung. Das heißt, die Patientinnen und Patienten stimmen den ärztlichen Empfehlungen zu. Sie interagieren auf Augenhöhe mit der behandelnden Person.

Wie kann die Adhärenz beim Diabetischen Fußsyndrom gesteigert werden?

Beim diabetischen Fußsyndrom spielt eine fachgerechte Fußpflege und -hygiene sowie die entsprechende Schulung des Patienten eine besondere Rolle.

Eigenverantwortung durch Aufklärung und Schulungen fördern

Personen mit diabetischem Fußsyndrom kann vermittelt werden, dass die Prophylaxe und Behandlung der Erkrankung zu einem Großteil in ihrer eigenen Verantwortung liegen. Betroffene sollten dabei unterstützt werden, eigene Fähigkeiten zur Wundversorgung, Blutzuckerkontrolle und Fußpflege zu entwickeln. Schulungen und Anleitungen können helfen, die Selbständigkeit zu fördern und Patientinnen und Patienten befähigen, aktiv an der Behandlung teilzunehmen. 

Es sollte verdeutlicht werden, dass bereits vorbeugend auf geeignetes Schuhwerk geachtet werden sollte. Gerade Risikofüße sollten geschont und entlastet werden. Die Schuhe für Menschen mit diabetischem Fußsyndrom dürfen keine einengende, spitze Zehenbox oder sichtbare Innennähte aufweisen.  Sie sollten aus einem weichen Material gefertigt sein. So lassen sich Deformationen und Verletzungen vermeiden. Ab der Mittagszeit sind die Füße der Patientinnen oder Patienten häufig angeschwollen und brauchen mehr Platz im Schuh. Deshalb sollte ein Schuhkauf oder das Maß nehmen beim Orthopädieschuhmacher möglichst spät am Tag stattfinden. Wenn der Schuh an den geschwollenen Füßen passt, reduziert sich die Druckgefahr. Zusätzlich bietet eine diabetesadaptierte Fußbettung - eine individuell nach dem Fuß hergestellte Einlage - Schutz und Dämpfung für die Füße. 

Socken und Strümpfe sollten ebenfalls frei von störenden Nähten sein. Zudem ist es wichtig, Schuhe und Socken täglich auf Fremdkörper und Unebenheiten zu kontrollieren. Barfußlaufen und eine eigenständige Nagelpflege mit spitzen Geräten wie Nagelschere, Nagelknipser und Hornhautzange sind für Betroffene absolut tabu.

Gemeinsam mit den Betroffenen sollte eine individuelle Zielsetzung bezüglich Fußpflege und Einhaltung des Therapieplans erarbeitet werden. Wenn das individuelle Ziel eines Patienten beispielsweise eine verbesserte Fußpflege ist, könnte eine disziplinäre Vorgehensweise aller Beteiligten regelmäßige Podologie-Verordnungen durch den Arzt, eine regelmäßige Kontrolle des Fußes durch den Diabetologen und tägliche Selbstpflege (vorsichtiges Waschen, Verwendung der verordneten Lotionen, Druckvermeidung) durch den Betroffenen beinhalten. Wenn Betroffene die Vorteile einer guten Beinpflege und einer regelmäßigen Blutzuckerkontrolle erkennen und persönliche Ziele haben, sind die motivierter, diese zu erreichen. 

Visuelle Hilfsmittel 

Bilder, Grafiken oder Videos veranschaulichen die Auswirkungen der Erkrankung und die Bedeutung der richtigen Behandlung. Dadurch kann das Bewusstsein für potenzielle Risiken geschärft werden. Auf „Angstmache“ sollte allerdings verzichtet werden. Fußspiegel, auch Teleskopspiegel genannt, sowie die Kamerafunktion am Smartphone können Betroffenen dabei helfen, die Füße von unten zu inspizieren.

Einbeziehung des sozialen Umfeldes

Familienmitglieder und Freunde können bei der Umsetzung der Behandlung unterstützen und motivieren.

  • Beispielsweise können sie helfen, den Behandlungsplan einzuhalten, indem sie auf die Medikamenteneinnahme und Einhaltung von Arzt- oder Podologenterminen hinweisen oder Betroffene zum Termin begleiten.
  • Angehörige können zudem an eine regelmäßige Messung des Blutzuckers erinnern, insbesondere nach „Snacks“, dafür benötigtes Equipment bereitstellen und beim Verstehen der Messergebnisse helfen.
  • Unterstützung bei der Reinigung und täglichen Inspektion der Füße ist ebenfalls hilfreich, insbesondere in Bereichen, die schwer zu erreichen und einsehbar sind, wie z. B. die Fußsohle und die Zehenzwischenräume. Nach der Reinigung sollten Zehenzwischenräume trocken gehalten werden. Geeignete Cremes, die beispielsweise den Wirkstoff Urea enthalten, sollten zur Pflege der trockenen Haut stets im Haus sein.
  • Falls notwendig, können Angehörige ungeeignete, spitze Instrumente zur Nagelpflege aus Sichtweite von Betroffenen entfernen.
  • Gemeinsame Aktivitäten wie Spaziergänge oder gesunde Mahlzeiten können die Motivation steigern, einen gesunden Lebensstil zu pflegen. 

Wie kann die Adhärenz beim Ulcus cruris venosum gesteigert werden?

Motivation zur konsequenten Kompressionstherapie

Die Kompressionstherapie ist die Basis der Behandlungsstrategien beim Ulcus cruris venosum (UCV). Die Art und Stärke der anzulegenden Kompression wird den folgenden zwei Behandlungsphasen angepasst:

  • Entstauungsphase: Kontrolle der chronisch venösen Insuffizienz (CVI), Ödemreduktion und Ulkusheilung (u.a. Verwendung von Kompressionsbinden und -bandagen)
  • Erhaltungsphase: Prävention von Ödem und Vermeidung von Rezidiven (u.a. Verwendung von medizinischen Kompressionsstrümpfen und Ulkus-Strumpfsystemen)

Das nicht regelmäßige Tragen der Kompressionsstrümpfe während der Erhaltungsphase stellt die häufigste Ursache für einen ausbleibenden Therapieerfolg dar. Das Selbstmanagement der Betroffenen spielt beim UCV eine bedeutende Rolle. Die Voraussetzung für die Adhärenz von Personen mit einem UCV ist, dass sie die Gründe, den Nutzen und die sachgerechte Durchführung der erforderlichen Therapiemaßnahmen kennen. Die Edukation von Betroffenen und Angehörigen bzw. des sozialen Umfelds über das korrekte Anlegen, Tragen und Pflegen von Kompressionsstrümpfen ist deshalb von besonderer Bedeutung. Dabei sollten die Vorteile der Kompressionstherapie in Hinblick auf die Verbesserung des venösen Blutflusses, die Verringerung von Schwellungen und die Verhinderung von Komplikationen wie Venenentzündungen oder Ulzera verdeutlicht werden.

Spezielle An- und Ausziehhilfen verwenden

An- und Ausziehhilfen erleichtern das Anlegen und Ausziehen der Kompressionsstrümpfe. Zugleich schonen diese das Material. An- und Ausziehhilfen sowie verordnete medizinische Kompressionsstrümpfe werden in Sanitätshäusern ausgegeben. Mitarbeitende der Sanitätshäuser haben in diesem Fall eine besondere Bedeutung. Sie können Patientinnen und Patienten hinsichtlich des korrekten Umgangs mit den Produkten und der Materialpflege beraten. 

Ermunterung zur Bewegung unter Kompressionstherapie

Patienten und Patienten sollten dazu angehalten werden, sich mit angelegter Kompression zu bewegen und aktiv Übungen durchzuführen. Gut geeignete Bewegungsübungen sind das Fußkreisen und -wippen. Sie aktivieren die Wadenmuskelpumpen und Beweglichkeit der Sprunggelenke und verbessern die Wirkung der Kompression. Idealerweise integriert der Patient oder die Patientin diese Übungen regelmäßig in ihren Tagesablauf, um eine Gewohnheit zu schaffen. Dem Patienten oder der Patientin kann als Merkhilfe die sogenannte „3 S-, 3 L-Regel“ empfohlen werden. „3 S-, 3 L“ steht für „Sitzen und Stehen ist schlecht, lieber Laufen und Liegen“.

Motivation zum Tragen der Kompression bei Sommerhitze

Der Patient oder die Patientin sollte bei der Auswahl von Kompressionsstrümpfen oder -verbänden unterstützt werden, die für den Sommer geeignet sind. Es gibt moderne Materialien, die atmungsaktiv sind und Feuchtigkeit ableiten, um Hitze und damit verbundenes Unbehagen zu reduzieren. Die Patientin oder der Patient sollte sich beim Tragen der Kompression wohl und nicht eingeschränkt fühlen.

Praktische Tipps für den Sommer sind das Tragen von leichten, luftigen Kleidungsstücken, das Vermeiden von direkter Sonneneinstrahlung auf die Beine, das Verwenden von kühlenden Feuchtigkeitssprays.

Vermeiden von Risikofaktoren

Zu den beeinflussbaren Risikofaktoren für UCV gehören Rauchen und Übergewicht. Ggf. sollte der Patienten oder die Patientin zur Kontaktaufnahme zu Selbsthilfe- oder Gesundheitsgruppen, beispielsweise zur Raucherentwöhnung oder Ernährungsumstellung, unterstützt werden.

Was ist die "3S-3L-Regel"?

Die 3S-3L-Regel für Patienten mit Ulcus cruris venosum erinnert an 

  • Sitzen und Stehen ist schlecht,
  • lieber Laufen und Liegen.

Wie kann die Adhärenz beim Ulcus cruris arteriosum gesteigert werden?

Motivation zur Einhaltung des Therapieplans

Den Patientinnen und Patienten sollte die zugrunde liegende Ursache des Ulcus cruris arteriosum (UCA), der Verlauf der Erkrankung sowie die möglichen Konsequenzen einer unzureichenden Behandlung verständlich erklärt werden. Betroffene sollten darüber informiert sein, dass die konsequente Umsetzung der Therapie essenziell ist. Dadurch können die Wundheilung gefördert, die allgemeine Durchblutungssituation verbessert und mögliche Komplikationen vermieden werden. Dazu gehört u.a. die regelmäßige Einnahme von Medikamenten. Begleiterkrankungen wie Bluthochdruck und zu hohe Blutzuckerwerte gehören in die Hand eines kompetenten Arztes.

Vermeiden von Druck und Kompression

Der Einsatz von Druck, beispielsweise durch Kompressionsverbände oder Kompressionsstrümpfe, ist in der Regel für Personen mit UCA kontraindiziert. Durch den Druck wird die ohnehin schon beeinträchtigte Durchblutung weiter reduziert, was die Wundheilung beeinträchtigen und das Risiko von Gewebenekrosen erhöhen kann.

Vermeiden von Risikofaktoren

Ebenso wie beim UCV gehören beim UCA Rauchen, Übergewicht und Bewegungsmangel zu den beeinflussbaren Risikofaktoren. Patientinnen und Patienten sollten zur Kontaktaufnahme zu Selbsthilfe- oder Gesundheitsgruppen, beispielsweise zur Raucherentwöhnung oder Ernährungsumstellung, ermuntert werden.

Wie kann die Adhärenz beim Dekubitus gesteigert werden?

Das Pflegepersonal spielt eine zentrale Rolle bei der Betreuung von Personen mit Dekubitus und der Förderung der Adhärenz. Es sollte die Patientin und den Patienten umfassend über den Dekubitus und die notwendige Behandlung aufklären. Die Pflegekraft sollte einen individuellen Behandlungsplan erstellen und sicherstellen, dass die Patientin oder der Patient diesen versteht und einhalten kann. Sie kann bei der Schmerzkontrolle unterstützen und gegebenenfalls die Schmerzmedikation anpassen, um den Behandlungsprozess für den Patienten komfortabler zu gestalten.

Der Patient sollte den Behandlungsplan und die Empfehlungen des medizinischen Teams möglichst konsequent befolgen. Dazu gehört die regelmäßige Wundversorgung und das Einhalten der vorgeschriebenen Lagerungswechsel. Ein Beispiel dafür wäre, dass der Patient aktiv auf die vorgegebenen Zeiten für die Umlagerung achtet und gegebenenfalls einen Wecker oder eine Erinnerungs-App nutzt, um keinen Wechsel zu verpassen. Angehörige können dabei unterstützend und erinnernd zu Seite stehen.

Zusätzlich ist es wichtig, dass Patientinnen und Patienten auf die Ernährung und Flüssigkeitszufuhr achten, da eine ausgewogene Ernährung den Heilungsprozess unterstützt. 

Welche Faktoren mindern Adhärenz?

Fehlende Adhärenz ist einer der häufigsten Gründe für ein Therapieversagen.

Untersuchungen zufolge lösen rund 30 Prozent der Patientinnen und Patienten ihre Rezepte nicht ein.3 Über 50% aller Arzneimittel werden nicht eingenommen. Die Ursachen für eine Non-Adhärenz, also für die Weigerung oder Unfähigkeit von Menschen, ärztlichen Anweisungen zu folgen, sind vielfältig und sehr individuell (s. Tabelle 1).

Allgemein sinkt die Adhärenz im Behandlungsverlauf. Besonders gering ist sie bei Menschen mit chronischen Erkrankungen.

Tabletteneinnahme, Adhärenz: Wochenbox, Gespräch Pflege und Patientin
Fehlende Adhärenz: Über 50% aller Arzneimittel werden nicht eingenommen.

Faktoren

Gründe der Adhärenzminderung

Was tun?

Sozio-ökonomisch

  • Geringes Gesundheitsverständnis
  • Fehlende soziale Unterstützung
  • Hohe Arzneimittelkosten

Aufklärung in einfacher Sprache und großem Schriftbild; Veranschaulichung der Vorteile einer Genesung, evtl. durch Verwendung von Bildmaterial; Hilfe bei der Beantragung einer Zuzahlungsbefreiung, regelmäßige Edukation mittels Schulungen

Therapiebezogen

 

  • Komplexität des Therapieplans
  • Nebenwirkungen
  • Dauer der Behandlung
  • Häufige Änderung der Behandlung

Ggf. Dosierung, Einnahmehäufigkeit oder Wirkstoff von Medikamenten anpassen; umfassende Aufklärung über Nebenwirkungen und Unterstützung bei der Bewältigung von Nebenwirkungen, wie z.B. Einnahme von Medikamenten zu bestimmten Tageszeiten, um Nebenwirkungen zu minimieren, oder die Empfehlung von begleitenden Therapien/Maßnahmen wie geeignete Ernährung oder Bewegung, die Nebenwirkungen mildern können

Patientenbezogen

  • Körperliche Beeinträchtigung (z.B. von Kognition, Sehvermögen, Fingerfertigkeit)
  • Psychologisches Verhalten
  • Jüngeres Alter

Unterstützung durch Angehörige oder betreuende Personen; Nutzung von Hilfsmitteln; psychologische Unterstützung

Krankheitsbedingt

  • Weitere Erkrankungen
  • Psychische Störungen
  • Schwere Symptome

Medizinische Behandlung der chronischen Erkrankung; Anregung/Vermittlung einer Therapie

Gesundheitssystembezogen

  • Schlechtes Vertrauensverhältnis zu Ärztin, Arzt oder medizinischem Personal
  • Schlechte Kommunikation
  • Fehlender Zugang zur Gesundheitsversorgung
  • Mangel an Kontinuität der Pflege

Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung; Verbesserung der Kommunikation durch Vermeiden von medizinischen Fachbegriffen; Verwendung von visuellen Hilfsmitteln oder schriftlichem Informationsmaterial ggf. in Muttersprache; Aufklärung über Finanzierungsmöglichkeiten und Unterstützungsprogrammen; Organisation von Transportmöglichkeiten für Patienten, die Schwierigkeiten haben, Gesundheitseinrichtungen zu erreichen

Tabelle 1: Faktoren einer Adhärenzminderung1

Wie kann Adhärenz kontrolliert oder gemessen werden?

Verschiedene Methoden zur Adhärenzmessung stehen zur Verfügung. Allerdings sind die Wenigsten absolut zuverlässig.

Die Bestimmung des Medikamentenspiegels im Blut ist eine Maßnahme. Sie ist jedoch im medizinischen Alltag kaum umsetzbar und dient eher selten zur kurzfristigen Überwachung der Arzneimitteleinahme.

Die Therapieumsetzung kann zudem durch elektronisches Monitoring kontrolliert werden. Dafür dokumentiert die Patientin bzw. der Patient jede Medikamenteneinnahme. Hierzu eignen sich mit einem elektronischen Zähler versehene Blister oder Applikationshilfen. Individuelles Verhalten wird kontrollierbar und mögliche Probleme können behoben werden.3

Durch die Verknüpfung elektronischer Krankenakten mit Apothekendaten kann retrospektiv nachvollzogen werden, ob verordnete Rezepte tatsächlich eingelöst wurden.

Ob eine gute Therapieadhärenz vorliegt, liegt meist in der subjektiven Beurteilung des Behandlers und der Patientin bzw. des Patienten.

Was sind die Folgen von Non-Adhärenz?

Non-Adhärenz von chronisch Erkrankten ist eine der größten Herausforderungen im Gesundheitswesen.

Non-Adhärenz verhindert oder reduziert den Therapieerfolg. Dies birgt erhebliche Gefahren und Risiken für die Gesundheit der behandelten Person. Zusätzlich verursacht diese enorme Kosten für das Gesundheitssystem. Im Jahr 2007 wurden die medizinischen Kosten, die in Deutschland durch mangelnde Adhärenz bei der Medikamenteneinnahme entstehen, auf bis zu 10 Milliarden Euro jährlich geschätzt. Das sind etwa 13% aller Krankheitskosten. Non-Adhärenz erzeugt Kosten, die in der Größenordnung der Ausgaben für Volkskrankheiten, wie etwa die Herz-Kreislauferkrankungen, liegen.4

Thema Adhärenz im MFA-Blog

Literatur

Die Autorin Dr. Roxane Lorenz
Dr. Roxane Lorenz

Nach ihrem Studium der Biologie an der Ruhr-Universität Bochum promovierte Dr. Lorenz zum Dr. rer. nat. Seit 2012 ist sie in der medizinisch-wissenschaftlichen Abteilung bei Dr. Ausbüttel tätig, seit 2018 auch als Leiterin dieser Abteilung sowie der Forschungsabteilung.