Mythen der Wundversorgung - was ist dran?

Mythen der Wundversorgung - was ist dran?

Die Wunde muss an die frische Luft? Oder mit Meerwasser ausgespült werden? Rund um die Wundbehandlung halten sich zahlreiche Mythen. Wie viel medizinische Wahrheit steckt in ihnen?

Heilt eine Wunde an der Luft besser?

Nein. Alle Wunden – auch kleinere Abschürfungen oder Kratzer – sollten immer gereinigt und mit einem Pflaster oder Verband geschützt werden. Das verhindert, dass Keime oder Fremdkörper in die Wunde eindringen. Auch sorgt ein geschlossener Verband für ein feuchtwarmes Wundmilieu und beschleunigt damit die Wundheilung. Durch die Feuchtigkeit schwemmen Zelltrümmer, Fremdkörper und Bakterien aus der Wunde. Bestimmte Immunzellen (Makrophagen) dringen in die Wunde ein und beginnen mit dem Abbau von Bakterien, zellulären Abfallprodukten (z.B. abgestorbenen Gewebeteilen) und Fremdkörpern. Außerdem wird das Wachstum neuer Zellen angeregt. Ohne Pflaster trocknet die Wunde zwar oberflächlich schnell ab, doch unter dieser trockenen Schicht befindet sich eine Schicht aus Bakterien und abgestorbenem Gewebe, die nicht mehr abtransportiert wird. Das verzögert die Wundheilung.

In der Behandlung von chronischen und sekundär heilenden Wunden hat sich über viele Jahre hinweg die Anwendung einer optimal feuchten Wundbehandlung mit speziellen Produkten zur Wundversorgung bewährt. Dieser Ansatz wird auch als moderne Wundversorgung bezeichnet und umfasst verschiedene Produkte wie Schaumstoffwundauflagen, Alginatkompressen, Hydrokolloidverbände und silikonisierte, nicht haftende Wunddistanzgitter. Diese Produkte gewährleisten ein ideales, feuchtwarmes Milieu in der Wunde, wodurch das Austrocknen und Auskühlen der Wunde reduziert wird. Darüber hinaus ermöglichen sie längere Tragezeiten, wodurch die Wunde die Möglichkeit zur ungestörten Heilung erhält. Eine aktuelle Metaanalyse, die 40 Studien einschloss, hat bestätigt, dass moderne Wundprodukte im Vergleich zu herkömmlichen Verbänden mit Wundgaze und Kochsalzlösung überlegen sind.1

Ist Salzwasser gut für Wunden?

Nein – zumindest nicht, wenn es sich um Meerwasser handelt. Mit größeren und insbesondere offenen Wunden sollte man nicht ins Meer gehen. Denn Meerwasser ist nicht steril und kann zahlreiche Bakterien beherbergen, mit denen sich die Wunde infizieren kann. Gerade bei Wassertemperaturen über 20 Grad besteht die Gefahr einer Wundinfektion. Auch kann Salzwasser stark in der Wunde brennen.

Wie stark dieser Mythos bei Patienten verbreitet ist, zeigt eine Studie aus Australien, an der 1.000 erwachsene Personen mit einer frisch operierten Wunde teilgenommen haben. 29 % der Befragten gaben an, ihre Wunde in Meerwasser gelegt zu haben, und 95 % dieser Patienten glaubten, dass dies der Wundheilung förderlich war. Die Autoren schlussfolgerten daraus, wie wichtig es ist, dass Gesundheitsdienstleister ihre Patienten sorgfältiger über die richtige Wundpflege aufklären sollten.2

Es kommt auf die richtige Konzentration und die Sterilität einer salzhaltigen Wundspüllösung an. Für die Wundbehandlung ist der Salzgehalt des Meerwassers deutlich zu hoch (ca. 3,5 % Salzgehalt). Selbst hergestellte Salzlösungen bergen mehrere Risiken. Zum einen können unaufgelöste Salzkristalle die Wunde reizen, zum anderen besteht die Gefahr, dass die Lösung nicht isotonisch, sondern hyperton (höhere Konzentration an gelösten Salzen als das menschliche Blut) ist. Des Weiteren besteht das heutige Speisesalz aus mehreren Bestandteilen, welche für eine Wundheilung nicht förderlich sind. Die ideale salzhaltige Wundspüllösung ist daher immer die sterile 0,9%-ige Kochsalz- (NaCl-0,9%) Lösung. Dabei sind Herstellerangaben zur Verwendbarkeit unbedingt zu beachten.

Beschleunigt Honig die Wundheilung?

Ja und Nein. Grundsätzlich kann Honig die Wundreinigung fördern, indem er durch den hohen Zuckergehalt (85 %) osmotisch Flüssigkeit aus dem umgebenden Wundgewebe zieht. Das verringert Wundödeme und regt durch vermehrte Exsudatbildung die autolytische Wundreinigung an. Auch wirkt Honig antibakteriell, da er meist einen sauren pH-Wert von 3 bis 4 hat. In diesem sauren Milieu können sich Bakterien nicht verbreiten.3 Bestimmte Honigsorten enthalten zudem eine große Menge des Enzyms Glukose-Oxidase, das – in Verbindung mit Wundflüssigkeit – die Glukose im Honig in Glukonsäure umwandelt. Dabei entsteht Wasserstoffperoxid, das desinfizierend wirkt.

Allerdings verbietet sich generell die Anwendung von Haushaltshonig in der Wundtherapie, da dieser mit Pestiziden, Sporen von Clostridien und/oder Antibiotika kontaminiert sein kann. Alternativ kann medizinischer Honig eingesetzt werden, der zum Beispiel aus Neuseeland als Medizinprodukt der Klasse IIb angeboten wird. Erste positive Erfahrungsberichte liegen laut der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene vor. Allerdings fehlen noch größere Studien, um den Wert in der Wundtherapie wirklich beurteilen zu können.3

Eignet sich Alkohol zur Desinfektion?

Nein. Es mag im Western- oder Actionfilm vielleicht gut kommen, wenn sich der Held die Wunde mit Wodka oder Whiskey ausspült. Im wahren Leben ist das aber nicht zu empfehlen. Denn: 

  1. Damit eine Spirituose überhaupt desinfizierend wirkt, benötigt sie einen Alkoholanteil von mindestens 60 Prozent. Das erreichen die wenigsten Spirituosen.
  2. Bestimmte Alkohole, z. B. Ethanol, Isopropyl-Alkohol, können zur Desinfektion eingesetzt werden, gerade für die Flächendesinfektion. Sie wirken gegen Bakterien, Viren, Pilze und Sporen. Der Nachteil bei der Verwendung von Alkohol auf der Haut ist, dass es zu Reizungen der Haut, Brennen und Austrocknung der Haut kommt.

Ist eine Wundantiseptik indiziert, sind laut der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH) bei akuten Wunden Octenidin- oder Polihexanid-basierte Präparate Mittel der Wahl. Für chronische Wunden und Verbrennungswunden empfiehlt die DGKH Polihexanid als handelsübliche Lösung (Medizinprodukt) oder als antimikrobielle Wundauflage. Denn Polihexanid fördert durch seine antiseptische Wirkung (Erregerbekämpfung) die Wundheilung und wird in der Behandlung eingesetzt, um Infektionen zu verhindern.4

Sollten Wunden nach sechs Stunden nicht mehr genäht werden?

Ja. Nach Ablauf von etwa sechs Stunden gilt jede Wunde als stark keimbelastet und sollte somit nicht mehr primär verschlossen werden. Deshalb sollten Menschen nach einer tieferen Schnittverletzung innerhalb dieses Zeitfensters einen Arzt oder den Notdienst aufsuchen. Befinden sich Fremdkörper wie beispielsweise Glassplitter in der Wunde, sollten sie diese in der Wunde belassen. Der Versuch, sie mit einer Pinzette o.Ä. zu entfernen, birgt die Gefahr, die Wunde noch mehr zu kontaminieren und die Verletzung zu verschlimmern. Größere Schnittwunden gehören immer in ärztliche Hände.

Darf eine Wunde mit Leitungswasser gespült werden?

Nein. Laut dem Robert Koch-Institut (RKI) muss jede offene Wunde steril versorgt werden.5 Leitungswasser ist jedoch nicht frei von Mikroorganismen. Daher empfiehlt das RKI zum Spülen von Wunden nur sterile Lösungen. Das kann zum Beispiel sterile Kochsalz- oder Ringer-Lösung sein. Hinsichtlich der Haltbarkeit der verwendeten Spüllösungen müssen die Angaben der Hersteller beachtet werden.5

In der Praxis, gerade im ambulanten Bereich, wird jedoch häufig berichtet, dass Leitungswasser zur Wundspülung verwendet wird. Laut dem RKI entspricht dies jedoch nicht den erforderlichen hygienischen Standards. Leitungswasser zur Wundspülung sei nur im Notfall vertretbar. Werden endständige Sterilfilter am Wasserauslass eingesetzt, kann Leitungswasser jedoch genutzt werden.6 Zum Ausduschen von Wunden können zum Beispiel medizinische Duschfilter verwendet werden. Diese haben eine Porengröße von maximal 0,2 Mikrometer (entspricht= 0,0002 mm), sodass Bakterien aufgrund ihrer Größe nicht durch die Poren des Duschfilters gelangen können. Duschfilter werden direkt auf den Wasserschlauch geschraubt. Bei der Verwendungsdauer ist auf die Angaben des Herstellers zu achten.

Mythen in der Wundversorgung: DRACO Experten-News

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Verursacht ein Abkratzen der Wunde Narben?

Ja und Nein. Ob eine Narbe entsteht, hängt vor allem von der Tiefe der Wunde ab. Oberflächliche Wunden, die nur die Epidermis betreffen, können ohne Narbenbildung abheilen. Tiefere Wunden gehen in der Regel mit einer Narbenentstehung einher, da das verloren gegangene Gewebe durch Binde- oder Stützgewebe ersetzt wird. Dieses „Ersatzgewebe“ ist weniger fest und hat eine andere Funktionalität. Auch verfügt es nicht über Hautanhangsgebilde wie Haare oder Talg- und Schweißdrüsen. 

Auch die Wunde selbst beeinflusst die Narbenbildung. Eine primär heilende Wunde mit glatten Wundrändern heilt besser ohne Narben ab als eine sekundär heilende Wunde, z. B. Verbrennung oder chronische Wunde. Auch Infektionen, eine schlechte Nahttechnik oder eine mangelnde Wundversorgung können sich auf die Narbenbildung auswirken. Wird die Wunde abgekratzt, kann das also tatsächlich Narben verursachen – indem über die Hände Bakterien oder Viren in die Wunde gelangen und eine Wundinfektion auslösen. Aber auch patientenbezogene Faktoren (Alter, bestimmte Erkrankungen) oder eine mangelnde Nachsorge (Sonnenexposition, zu frühe sportliche Belastung) können sich auf die Narbenbildung auswirken.

Schmerzt eine Wunde mehr, je tiefer sie ist?

Nein. Die Stärke des Schmerzes hängt zwar von der Wunde ab, nicht unbedingt aber von der Tiefe. Großflächige, oberflächliche Wunden schmerzen in der Regel mehr als kleinere tiefe Wunden. Das hängt damit zusammen, dass bei großen oberflächlichen Wunden mehr Nozizeptoren aktiviert sind, die Schmerzsignale ans Gehirn senden. Gerade großflächige Verbrennungen oder Erfrierungen 1. und 2. Grades und größere Schürfwunden gehen üblicherweise mit starken akuten Schmerzen einher. Eine Ausnahme sind Verbrennungen 3. Grades. Hier empfinden die Betroffenen oft gar keine Schmerzen mehr, weil die entsprechenden Nozizeptoren zerstört sind.

Auch chronische Wunden können mit starken chronischen Schmerzen (Dauer > 3 Monate) einhergehen und die Lebensqualität deutlich beeinträchtigen. Das gilt zum Beispiel für Dekubitusgeschwüre, Tumorwunden oder infizierte Wunden.

Literatur

Die Autorin Michelle Eisenberg
Michelle Eisenberg, examinierte Pflegekraft

Michelle Eisenberg ist examinierte Pflegekraft mit der Zusatzqualifikation Praxisanleitung in der Pflege.
Sie hat sowohl in der ambulanten als auch stationären Pflege Erfahrung gesammelt.
Seit einiger Zeit arbeitet Frau Eisenberg im Kundenservice von Dr. Ausbüttel im Bereich Beratung.