Diabetische Angiopathie

Diabetische Angiopathie

Unter der Bezeichnung „Diabetische Angiopathie“ werden alle Gefäßerkrankungen (Angiopathien) zusammengefasst, die im Zusammenhang mit einer Diabeteserkrankung auftreten.

Die Diabeteserkrankung selbst bzw. der erhöhte Blutzuckerspiegel (Hyperglykämie) sind kardiovaskuläre Risikofaktoren, aber nicht zwingend ursächlich für die diabetische Angiopathie. Dennoch haben Menschen mit Diabetes ein 2 bis 3 Mal höheres Risiko an einer Angiopathie zu erkranken als Menschen ohne Diabetes. 

Unabhängig von ihrer Ursache haben Angiopathien gemeinsam, dass die organversorgenden Arterien verengen. Dadurch wird weniger sauerstoff- und nährstoffreiches Blut zu den Zielorganen transportiert. Es entsteht eine Unterversorgung, die zu Organ- und Hautschädigungen führen kann. Im Zusammenhang mit Wunden bedeutet dies, dass es durch die Unterversorgung der Haut zu Läsionen kommen kann, die dann aufgrund der Minderdurchblutung nur schlecht abheilen.

Behandlung und Therapie

Die Therapie einer diabetischen Angiopathie muss unbedingt interdisziplinär erfolgen, wobei die Verbesserung der arteriellen Durchblutung zentraler Bestandteil ist. Erst wenn eine ausreichende Durchblutung in den Arterien stattfindet, kann eine Wundheilung erwartet werden.

Gleichzeitig müssen Risikofaktoren minimiert werden, um ein weiteres Fortschreiten der Angiopathie zu verhindern. Dazu gehören die Hyperglykämie selbst sowie kardiovaskuläre Risikofaktoren, die häufig mit Diabetes vergesellschaftet sind wie arterielle Hypertonie, Hyperlipoproteinämie, Adipositas und Rauchen. Daher sind auch die optimale Einstellung des Blutzuckers sowie die Etablierung einer gesunden Lebensweise wichtiger Therapiebestandteil.

Diabetische Mikro-Angiopathien können aufgrund des kleinen Gefäßdurchmessers nicht interventionell bzw. operativ behandelt werden. Hier bleibt nur die Therapie mit Medikamenten, die die Fließeigenschaften des Blutes verbessern. So kann die Durchblutungssituation in vielen Fällen verbessert werden.

Bei einer diabetischen Makro-Angiopathie wird therapeutisch so vorgegangen, wie im Artikel zur peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK) beschrieben. Die pAVK wird immer stadiengerecht behandelt und das unabhängig davon, ob Diabetes vorliegt oder nicht. Ab pAVK Stadium III sind interventionelle oder operative Therapien zur Wiederherstellung der Durchblutung notwendig. Ziel ist der Erhalt der Extremität und das Überleben des Betroffenen. Es gilt Amputationen zu vermeiden, da diese die Sterblichkeit drastisch erhöhen. 

Im Zusammenhang mit dem DFS beschloss der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) laut einer Pressemitteilung vom 16. April 2020 folgendes:

"Patientinnen und Patienten mit Diabetischem Fußsyndrom können sich vor einer Amputation an den unteren Extremitäten zukünftig eine unabhängige ärztliche Zweitmeinung einholen. Hierbei überprüft ein qualifizierter Zweitmeiner die medizinische Notwendigkeit des geplanten Eingriffs und berät zu konservativen und weniger invasiven Behandlungsmöglichkeiten."

Im verlinkten PDF ist die Entscheidungshilfe für Patientinnen und Patienten enthalten.

Entscheidungshilfe für Patientinnen und Patienten

Wie werden diabetische Angiopathien unterschieden?

Die diabetische Angiopathie wird je nach Größe der betroffenen Arterien unterschieden.

Diabetische Mikro-Angiopathie

Die diabetische Mikro-Angiopathie betrifft die kleinen Blutgefäße (Kapillaren). Dazu gehören krankhafte Veränderungen an den Kapillaren der Nieren, der Augen, des Gehirns sowie des Herzmuskels. Häufig anzutreffende Krankheitsbilder aufgrund von diabetischen Mikro-Angiopathien sind die diabetische Nephropathie, diabetische Retinopathie oder diabetische Neuropathien. Auch das diabetische Fußsyndrom (DFS) gehört zu den Mikro-Angiopathien und tritt mit einer Wahrscheinlichkeit von 19 bis 34 % über die gesamte Lebensdauer bei einem Menschen mit Diabetes auf.

Diabetische Makro-Angiopathie

Die diabetische Makro-Angiopathie betrifft mittlere und große Arterien, insbesondere im Gehirn, im Halsbereich, in den Beinen oder die Herzkranzarterien. Dadurch entsteht bei Menschen mit Diabetes das erhöhte Risiko für Gewebsnekrosen (Gängran), Herzinfarkte sowie Schlaganfälle. Zu den Makro-Angiopathien gehört die pAVK, die einen wesentlichen Faktor für die Entstehung von Gangrän sowie eine verminderte Wundheilung an den unteren Extremitäten darstellt. Über ein Viertel der Menschen mit Diabetes ab einem Alter von 65 Jahren leiden an einer pAVK.

Nicht selten treten diabetische Mikro-Angiopathien mit diabetischen Makro-Angiopathien gemeinsam auf. So leiden mehr als die Hälfte der Menschen mit einem DFS zusätzlich an einer pAVK. 

Symptome der diabetischen Angiopathie

Sowohl bei Diabetes als auch bei diabetischen Angiopathien entstehen erste Symptome i.d.R. erst, wenn bereits Schädigungen entstanden sind. Daher bemerken Betroffene die Erkrankungen leider erst in fortgeschrittenen Stadien.

Abhängig von den betroffenen Arterien äußern sich diabetische Angiopathien sehr unterschiedlich:

  • Diabetische Nephropathien sind für Betroffene nur sehr selten bemerkbar. Symptome einer diabetischen Nephropathie zeigen sich i.d.R. lediglich durch Laboruntersuchungen des Urins und des Blutes. Typisch sind erhöhte Proteinausscheidungen in Urin, Verminderung von Albuminen im Blut sowie Erhöhung von Blutfetten
  • Eine diabetische Retinopathie verursacht erst spät Symptome. Nach einer langen symptomlosen Phase treten zunächst Sehstörungen auf, die bis zur Erblindung führen können
  • Diabetische Angiopathien der Arterien im Gehirn können Konzentrations- und Gedächtnisstörungen verursachen, zu Stimmungsschwankungen und Depressionen führen sowie sich durch Schlaganfälle bemerkbar machen
  • Makro-Angiopathien äußern sich wie im Artikel zur pAVK beschrieben. Dazu gehören Symptome wie Claudicatio intermittens durch krampfartige Muskelschmerzen der Beine, kalte Füße und/oder Hände oder verminderte Durchblutung der Extremitäten.

Anzeichen einer diabetischen Angiopathie in den unteren Extremitäten sind:

  • Meist kalter, blasser, bläulich-livide verfärbter Fuß
  • Trockene und glänzende Haut
  • Verlust der Behaarung im Bereich des Unterschenkels und der Zehen
  • Verlangsamtes Wachstum der Zehennägel
  • Schlecht tastbare bis gänzlich fehlende Fußpulse

Wunden im Zusammenhang mit diabetischer Angiopathie

Stenosen oder Okklusionen der Arterien, die die Extremitäten versorgen, verursachen verminderte oder gänzlich fehlende Durchblutung der dahinter liegenden Areale. Als Folge wird das betroffene Gewebe durch die Unterversorgung geschädigt und kann absterben. Es entsteht eine Läsion. Auf diese Weise entstandene Wunden können sich durch die fehlende Blutversorgung rasch ausdehnen und heilen sehr schlecht und langsam. 

Häufig kommt es zu einem Zusammenspiel von diabetischer Neuropathie und diabetischer Angiopathie. So sind 30 bis 40 % der DFS sowohl auf angio- als auch neuropathische Ursachen zurückzuführen, während bei 10 bis 20 % der DFS rein angiopathische Ursachen zu Grunde liegen. Weitere Informationen zur Wundbehandlung beim DFS sind im DFS-Artikel beschrieben.

Bei Mischformen aus diabetischer Angio- und Neuropathie werden typische Symptome einer pAVK, wie der Ruheschmerz oder Claudicatio intermittens nicht bemerkt. Dadurch wird eine bereits bestehende Angiopathie leider häufig nicht früh genug erkannt. Als Folge werden diabetische angiopathische Wunden zu spät bemerkt oder nicht ausreichend behandelt. Durch den fehlenden Schmerz an den Füßen schonen Betroffene die Wunde bzw. den Fuß häufig nicht ausreichend. Die daraus resultierende übermäßige Belastung der Wunde und Wundumgebung führt zu einer Ausbreitung von Bakterien in die Tiefe der Wunde. Daraus können Infektionen mit Beteiligung von Weichteilen, Gelenken und Knochen entstehen, die letztendlich zum Absterben von Gewebe (Gangrän) führen. Im schlimmsten Fall kommt es dann zur Zehen-, Unterschenkel- bzw. Oberschenkelamputation.

Zehennägel mit Angiopathischer-Fuß-Nagelmykose
Typisch aussehender angiopathischer Fuß mit Nagelmykosen und diabetischem, bereits infiziertem Fußulcus an D3 links Nagelfalz medial

Diagnose

Da diabetische Angiopathien in der Anfangsphase und häufig auch in fortgeschritteneren Stadien von Betroffenen nicht bemerkt werden, gestaltet sich die Diagnosestellung entsprechend schwierig.

Einen hohen Stellenwert für die Diagnose und Prophylaxe der diabetischen Angiopathie hat die Diagnostik der pAVK, die im entsprechenden Artikel näher erläutert wird. Gründe hierfür sind:

  • die relativ einfache Basisdiagnostik mittels Ankle Brachial Index (ABI)
  • gehäuftes Vorkommen der pAVK bei Menschen mit Diabetes
  • die pAVK geht häufig mit weiteren Gefäßerkrankungen einher
  • das Sterberisiko ist bei Menschen mit Diabetes und pAVK signifikant höher als bei Diabeteskranken mit anderen Gefäßerkrankungen.

Da eine beginnende Angiopathie meist noch keine Symptome verursacht, die von Betroffenen bemerkt werden können, sollten regelmäßige ärztliche Kontrolluntersuchungen stattfinden. Damit kann eine diabetische Angiopathie bereits in einem frühen Stadium identifiziert und angemessen therapiert werden.

Aus diesem Grund wird für Menschen mit Diabetes in strukturierten Behandlungsprogrammen (Disease-Management-Programme, DMP) einmal jährlich eine ABI-Messung sowie vierteljährlich eine Fußinspektion gefordert.

Risikofaktoren und Entstehung

Für die Entstehung einer diabetischen Angiopathie kommen mehrere kardiovaskuläre Risikofaktoren zusammen, die häufig mit Diabetes vergesellschaftet sind:

  • Hyperglykämie
  • Bluthochdruck (arterielle Hypertonie) 
  • Erhöhung der Blutfette (Hyperlipoproteinämie)
  • Adipositas
  • Insulinresistenz
  • verschiedene Hormone, Zytokine und Wachstumsfaktoren, die den Gefäßtonus beeinflussen
  • Rauchen.

Allerdings sind die Mechanismen noch nicht bis ins Detail verstanden. Bekannt ist, dass eine oder mehrere der o.g. Risikofaktoren zur Schädigung von Endothelzellen im Inneren der Arterien führen. In gesunden Arterien bilden die Endothelzellen eine glatte Oberfläche, an der keine Blutbestandteile haften bleiben können, und ermöglichen so einen reibungslosen Blutfluss. 

Bei einer Schädigung des Endothels entstehen Ungleichmäßigkeiten an den Gefäßwänden. So können sich leicht Bestandteile des Blutes als Plaques an den Gefäßwänden ablagern. An der betroffenen Stelle entsteht eine Einengung, in der Fachsprache Stenose genannt, die einen reduzierten Blutfluss zur Folge hat. An einmal bestehenden Plaques lagern sich im Verlauf weitere Blutbestandteile ab, so dass die Arterien weiter verengen können, bis hin zum kompletten Gefäßverschluss, der sogenannten Okklusion. Als Folge werden die dahinter liegenden Extremitäten bzw. Organe nicht oder nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt.

Literatur

Die Autorin Dr. Roxane Lorenz
Dr. Roxane Lorenz

Nach ihrem Studium der Biologie an der Ruhr-Universität Bochum promovierte Dr. Lorenz zum Dr. rer. nat. Seit 2012 ist sie in der medizinisch-wissenschaftlichen Abteilung bei Dr. Ausbüttel tätig, seit 2018 auch als Leiterin dieser Abteilung sowie der Forschungsabteilung.