Stromverletzungen

Stromverletzungen

3-7 Prozent aller in einem Verbrennungszentrum behandelten Verletzungsfolgen sind auf einen Zwischenfall mit Strom zurückzuführen.

Stromverletzungen werden durch künstliche, durch den Körper fließende Elektrizität verursacht. Das Symptombild reicht von Hautverbrennungen über Schäden von Organen und Bindegewebe bis hin zu Atemstillstand und Herzrhythmusstörungen. Die Diagnostik stützt sich auf eine Anamnese, klinische Kriterien und Laboruntersuchungen. Asymptomatische Patientinnen und Patienten ohne Vorerkrankungen benötigen keine besondere Versorgung, während schwere Verletzungen intensiv betreut werden müssen. Insbesondere Hochvoltverletzungen sind auch heutzutage noch mit einer hohen Morbidität vergesellschaftet. Jährlich versterben in Deutschland zirka 130 Personen an den Folgen von Stromverletzungen.

Symptome von Stromverletzungen

Grundsätzlich kann in Abhängigkeit von der Stromstärke zwischen drei Unfallgruppen differenziert werden.

Niederspannungsunfälle (<1000 Volt)

Niederspannungsunfälle ereignen sich häufig im Haushalt durch nicht isolierte Leitungen oder spielende Kinder. Der Haushaltsstrom gilt aufgrund seiner Wechselstromeigenschaft mit einer Frequenz von 50 Hz als besonders gefährlich. Eine niedrige elektrische Feldstärke erzeugt das unangenehme Gefühl eines „Stromschlags“. Die thermische Auswirkung des Niederspannungsunfalls beschränkt sich meist nur auf kleine, kreisrunde Verbrennungen.

Im Vordergrund steht bei dieser Art des Stromunfalls eher die Reizwirkung des elektrischen Stroms auf erregbare Gewebe wie Gehirn, Nerven, Muskeln oder das Herz. Beispielsweise kann sich ein Niederspannungsunfall in Bewusstlosigkeit, Muskelkrämpfen oder Herzrhythmusstörungen äußern. Ein Herzstillstand kann auch ohne Verbrennungen beispielsweise bei Badewannenunfällen mit einem Haartrockner oder Radio vorkommen. Kleinkinder, die an elektrischen Verlängerungsschnüren kauen, können Verbrennungen an Mund und Lippen erleiden. Kosmetisch bedeutsame Entstellungen, die das Wachstum der Zähne oder der Unter- und Oberkiefer behindern, können Folge sein.

Hochspannungsunfälle (> 1000 Volt)

Hochspannungsunfälle sind häufig Arbeitsunfälle an Transformatoren oder Hochspannungsleitungen. Bei Hochspannungsunfällen steht die thermische und elektrochemische Wirkung des Stroms im Vordergrund. Schwere Verbrennungen sind Folge, die zu Hämolyse (Abbau der Erythrozyten durch Zerstörung der Zellmembran und Eiweißkoagulation), Nekrosen, Thrombosen, Dehydratation oder Muskel- und Sehnenausriss führen. Hochspannungsunfälle können massive Ödeme hervorrufen.

Wenn Blut in den Venen thrombosiert und die Muskeln anschwellen, kann ein Kompartmentsyndrom auftreten. Die Zerstörung der Muskeln kann zur Rhabdomyolyse (Untergang von Muskelfasern), zur Myoglobinurie (Ausscheidung von Myoglobin im Urin) und elektrolytischen Störungen führen. Das Risiko akuter Nierenverletzungen steigt. Schäden am Zentralnervensystem oder Muskellähmung kann starke unfreiwillige Muskelkontraktionen, Krampfanfälle, Kammerflimmern oder Atemstillstand auslösen.

Blitzschlagverletzungen

Während eines Blitzunfalls werden enorme Energiemengen (bis zu 10 Mrd. kW) freigesetzt. Die Einwirkzeit eines Blitzschlags ist kurz (0,1-1 ms), sodass etwa die Hälfte der betroffenen Personen den Unfall überleben kann. Blitzschlagverletzungen rufen häufig Verbrennungen 3. Grades mit schwerwiegenden Begleitverletzungen oder auch Blitzfiguren auf der Haut hervor. Durch die starke Druckwelle, die mit dem Einschlag einhergeht, werden zudem Trommelfellverletzungen und stumpfe Verletzungen verursacht.

Stromüberschlag (Lichtbogen)

Lichtbogenverletzungen können ohne direkten Kontakt des Menschen mit dem Stromfluss entstehen.

Der Strom wird „durch die Luft“ übertragen. Beispielsweise kann Strom aus Oberleitungen an Bahnanlagen auf leichtsinnige Menschen überspringen. Lichtbogenverletzungen sind thermische Verletzungen und sollten entsprechend behandelt werden. Da der Kontakt mit dem Stromfluss fehlt, können Strommarken fehlen. Von Hochspannungsleitungen sollte sich grundsätzlich jeder fern halten.

Das Verletzungsausmaß von Stromverletzungen reicht von kleinen Hautverbrennungen bis hin zu Verkohlung ganzer Gliedmaßen oder einem Herzstillstand.

Fallbeispiel zum Thema Stromverletzung

Beim Heimwerken erlitt der Patient einen Stromschlag. Das Resultat waren Verbrennungen 2. bis 3. Grades. Im Fallbeispiel erfahren Sie mehr über die Behandlung und den Verlauf der Wundheilung.

Fallbeispiel lesen

Versorgung einer Stromverletzung

Die S2k-Leitlinie „Behandlung thermischer Verletzungen des Erwachsenen“ der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF) umfasst Empfehlungen zur (prä)klinischen Erstversorgung, Diagnostik, Lokalbehandlung und der qualifizierten Nachsorge der verletzten Haut.

Der Eigenschutz steht bei der Erstversorgung Stromverletzter im Vordergrund. Ist dieser gewährleistet, kann die Anamnese folgen. Der Unfallhergang, die Höhe der applizierten Spannung, Stromart, Bewusstseinsstatus bei Auffinden, ein möglicher Kreislauf-, Atem- oder Herzstillstand werden dokumentiert. Eine Ganzkörperinspektion dient der Feststellung von Ein- und Austrittswunden. Stromverletzungen sind Verbrennungsschäden und sollten auch wie diese behandelt werden. Anhand der Symptome und Gewebeschädigung können die Verbrennungen den verschiedenen Verbrennungsgraden (detaillierte Informationen zum Thema Verbrennungen) zugeordnet werden und fachgerecht versorgt werden.

Kleine Hautläsionen heilen meist unkompliziert und ohne spezielle Wundpflege innerhalb weniger Wochen ab. Allerdings sollte auch bei kleinen Hautläsionen die gesamte betroffene Extremität begutachtet werden, um tiefer liegende Schäden zu diagnostizieren. Höhergradige Verbrennungen führen zur Blasenbildung und Nekrosen. Bei teilnekrotischen Strukturen wie Nerven, Gefäßen und Sehnen kann erwogen werden, die Strukturen zu belassen. Liegt ausreichend vitales Gewebe in der Verletzung vor oder wird eine lappenplastische Deckung mit gut durchblutetem Gewebe durchgeführt, kann eine Amputation vermieden werden. Bei 9-49 Prozent aller Stromunfälle mit Extremitätenbeteiligung wird eine Amputation durchgeführt.

Eine neurologische Untersuchung gibt Auskunft über periphere und zentrale Nervenschädigungen. Initial sollten Stromverletze für mindestens 24 h mit einem EKG-Monitoring überwacht werden. Etwa 30 Prozent der betroffenen Personen zeigt initiale EKG-Veränderungen. Bei einer bestehenden respiratorischen Insuffizienz sollte bei brandverletzten Personen mit und ohne Inhalationstrauma eine invasive Beatmungsform eingeleitet werden. Auch im Hinblick auf ein mögliches Kompartmentsyndrom sollte ein engmaschiges klinisches Monitoring der Extremitäten erfolgen.

Stromverletzungen werden als Multiorganverletzung gesehen und behandelt, denn kein Organ ist gegen den Strom geschützt.

Komplikationen

Oftmals überdecken vermeintlich leichte Hautverletzungen das eigentliche Ausmaß des Stromschadens.

Übersehene innere Verletzungen und Herzrhythmusstörungen können verspätet zu lebensbedrohlichen Situationen führen. Starke Muskelkontraktionen (Tetanus) führen zu Knochenbrüchen oder Sehnenrissen. In Folge können Stürze auftreten.

Vorbeugung von Stromverletzungen

Die meisten Stromunfälle ereignen sich im Haushalt.

Elektronische Geräte, die mit dem Körper in Kontakt kommen können, sollten fachgerecht isoliert und geerdet sein. Sicherheitsschutzschalter sollten in Stromkreise integriert sein. Fällt nun beispielsweise ein Haartrockner in das Badewasser, schaltet sich der Strom automatisch ab und ein Unglück wird verhindert. Vor Beginn mit der Arbeit an einem elektrischen Gerät oder dem Wechseln einer Glühbirne muss sichergestellt werden, dass der Strom unterbrochen ist. Steckdosen mit Kindersicherheitsschutz minimieren das Unfallrisiko in Haushalten mit Säuglingen und Kleinkindern. Kinder sollten nur unter Beaufsichtigung von Erwachsenen elektronische Geräte wie Haartrockner verwenden.

Literatur

Die Autorin Dr. Roxane Lorenz
Dr. Roxane Lorenz

Nach ihrem Studium der Biologie an der Ruhr-Universität Bochum promovierte Dr. Lorenz zum Dr. rer. nat. Seit 2012 ist sie in der medizinisch-wissenschaftlichen Abteilung bei Dr. Ausbüttel tätig, seit 2018 auch als Leiterin dieser Abteilung sowie der Forschungsabteilung.