Betreuung von Diabetes-Patienten in der Apotheke

Betreuung von Diabetes-Patienten in der Apotheke

Apotheken werden oft ausschließlich mit der Medikamentenabgabe bei Diabetes mellitus in Verbindung gebracht, doch die Rolle reicht im Alltag oft weit darüber hinaus. Rund acht Millionen Menschen aller Altersklassen leiden in Deutschland an dieser lebensbedrohlichen Stoffwechselkrankheit. Allerdings ist ebenso vielen noch nicht bekannt, dass sie Diabetiker sind und ihr Blutzuckerspiegel bedrohliche Werte zeigt. Wie kann also die Apotheke vor Ort helfen, Betroffene zu unterstützen und gleichermaßen Diabetesprävention zu betreiben?

Patienten mit Diabetestherapie profitieren erheblich von einer engmaschigen interprofessionellen Betreuung in der Apotheke, da sie eine wichtige Schnittstelle zwischen ärztlicher Therapie und Patientenalltag darstellt. Apothekerinnen, Apotheker und PTA tragen maßgeblich dazu bei, Stoffwechselentgleisungen zu vermeiden, Polymedikation zu managen und damit langfristige Spätfolgen wie diabetische Mikro- oder Makroangiopathie zu reduzieren. 

Die Betreuung von Patienten mit Diabetes mellitus umfasst ein strukturiertes Medikations- und Nebenwirkungsmanagement, sowie Schulungen zur richtigen parenteralen Insulin-Applikation und zur Adhärenz. Ebenso bilden Präventionsangebote eine wichtige Säule der Versorgung in der Apotheke. Die zusätzliche pharmazeutische Unterstützung verbessert nicht nur die Sicherheit und Verträglichkeit der Diabetes-Therapie, sondern erhöht auch signifikant die Adhärenz und Patientenzufriedenheit. Das Herzstück der pharmazeutischen Tätigkeit ist dabei das persönliche Patientengespräch. So reichen die Fragen der Betroffenen von Themen wie Neueinstellung oder Umstellung der Insulintherapien von z.B. Human- auf Analoginsuline bis hin zu Problemen bei der Verträglichkeit. Zudem kommen immer wieder Themeninhalte rund um die Polymedikationsproblematik in der Beratung auf. Die Apotheke kann hier wichtige Hilfestellung leisten, indem sie im Einzelfall die richtige Einnahme bespricht, ggf. individuelle Tageseinnahmepläne anbietet und auf Risiken bei der Kombination verschiedener Arzneimittel hinweist.

Hier finden Sie weitere Informationen rund um das Thema Diabetes mellitus. 

Mehr erfahren

Grundlagen zum Diabetes mellitus

Zu Beginn der Beratung ist es wichtig, die Grundlagen der beiden Hauptformen des Diabetes mellitus zu kennen, um Beratung und Betreuung zielgerichtet anbieten zu können. Ein einmaliges Beratungsgespräch zu Beginn der Medikationsanwendung ist wichtig und sinnvoll. Die Erfahrung aus der Praxis zeigt jedoch, dass dieses oft nicht ausreicht. Viele Herausforderungen und Probleme treten erst im Therapieverlauf auf, daher gilt es die Betroffenen über einen längeren Zeitraum zu begleiten und zu unterstützen.

Typ 1-Diabetes

Beim Diabetes mellitus Typ 1 handelt es sich um eine Autoimmunerkrankung, bei der die insulinproduzierenden Betazellen in der Bauchspeicheldrüse zerstört werden und damit ein absoluter Insulinmangel auftritt.  Der Erkrankungsbeginn ist typischerweise abrupt, häufig im Kindes- oder Jugendalter, kann aber auch im Erwachsenenalter auftreten.  Da praktisch kein endogenes Insulin mehr produziert wird, ist lebenslange Insulintherapie zwingend notwendig. Symptome wie starker Durst, häufiges Wasserlassen, Gewichtsverlust und Müdigkeit können schnell auftreten und erste Hinweise auf die Entgleisung des Stoffwechsels geben.

Typ 2-Diabetes

Beim Diabetes mellitus Typ 2 steht primär eine Insulinresistenz, d. h. die Körperzellen reagieren nicht mehr richtig auf Insulin, oftmals kombiniert mit einer fortschreitenden Abnahme der Insulinproduktion, in der Betrachtung. Der Beginn ist meistens schleichend, häufiger im Erwachsenenalter, doch zunehmend auch bei jüngeren Menschen aufgrund von Risikofaktoren wie Übergewicht, Bewegungsmangel und ungesunder Ernährung. In frühen Stadien kann Diabetes mellitus Typ 2 oft mit Lebensstilmaßnahmen und oralen Antidiabetika behandelt werden, erst im weiteren Verlauf kann Insulin notwendig werden. 

Beide Formen haben gemeinsam, dass ein Anstieg des Blutzuckers, also erhöhte Glukosewerte im Blut entstehen, die auf Dauer zu Folgeerkrankungen führen können. Unterschiede bestehen jedoch in Ursache, Therapieumfang, Alter des Auftretens und möglicher Prävention. Der Typ 1 Diabetes mellitus ist nicht vermeidbar (zumindest noch nicht). Typ 2 Diabetes mellitus kann durch Lebensstil-Maßnahmen oft verzögert oder in manchen Fällen in Remission gebracht werden. 

Für die Apotheke bedeutet dies: Bei Diabetes mellitus Typ 1 steht Insulin und engmaschiges Monitoring im Vordergrund, bei Diabetes mellitus Typ 2 liegt der Fokus auf Lebensstilveränderungen, der Medikamenteneinnahme, beginnend mit oralen Präparaten, ggf. Insulin oder neuen Wirkstoffen wie GLP-1- Agonisten, sowie Begleiterkrankungen und Minimierung von Risikofaktoren.

Arzneimittelberatung ist auch bei Diabetes eine Kernaufgabe

Diabetiker müssen oft viele verschiedene Medikamente einnehmen, neben Antidiabetika oder Insulinen häufig auch Arzneimittel gegen Bluthochdruck oder veränderte Blutfettwerte. Rezeptfreie Präparate wie Schmerzmittel kommen hinzu. In der Apotheke kommt es deshalb zum einen darauf an, die richtige Einnahme und Anwendung der Medikamente zu erklären. Zum anderen sollten die Patienten sorgfältig über mögliche Nebenwirkungen und Wechselwirkungen der Präparate mit anderen Arzneien aufgeklärt werden.

Mehrwert der Apothekenbetreuung: Stoffwechselentgleisungen und Polymedikation

In der Versorgung von Menschen mit Diabetes mellitus leistet die Apotheke einen zentralen Beitrag, insbesondere bei der Prävention und Bewältigung von Stoffwechselentgleisungen und bei der Begleitung bei Polymedikation. 

Stoffwechselentgleisungen umfassen z. B. Ketoazidosen, aber auch starke Hyper- oder Hypoglykämien. Eine zuverlässige Blutzuckermessung, regelmäßige Kontrolle von HbA₁c-Werten, und das Achten auf Warnzeichen sind wichtig. Die Beratung zur richtigen Anwendung von Blutzuckermessgeräten, Schulung von Betroffenen in der Glukose-Selbstkontrolle und Aufklärung über Warnzeichen sind ebenfalls wichtige Dienstleistungen, bei denen die Apotheke helfen kann. Zudem kann die Apotheke mit Schulmaterialien, Erinnerungen an Kontrolltermine und ggf. telefonischer Nachbetreuung einen Mehrwert schaffen. 

Wenn eine Entgleisung passiert, so z. B. nach Krankheit, erhöhtem Stress, veränderter Medikation oder unregelmäßiger Ernährung, kann die Apotheke schnell als Ansprechpartnerin fungieren. Sie informiert über mögliche Ursachen, verweist ggf. zur Ärztin/zum Arzt oder zum Diabetes-Schulungsprogramm und fördert das Verständnis für die Risiken von stark schwankenden Glukosespiegeln (z. B. für Gefäßschäden oder Infektionen).

Viele Betroffene mit Diabetes haben zusätzliche Erkrankungen (z. B. Bluthochdruck, Dyslipidämie, koronare Herzkrankheit, Niereninsuffizienz) und nehmen entsprechend zahlreiche Medikamente ein. Dies begünstigt eine Polymedikation mit Risiko für Wechselwirkungen, Fehler in der Einnahme und verringerter Medikamentenadhärenz. Die Apotheke kann hier mehrfach unterstützen.

Hier finden Sie weitere Informationen zu den Pharmazeutischen Dienstleistungen. 

Mehr erfahren

Tipps für die Durchführung in der Apotheke

Medikationsanalyse

Überprüfung von Kontraindikationen, Wechselwirkungen (z. B. Hypoglykämie-Risiken bei Kombination von Antidiabetika mit anderen Arzneimitteln), Nierenfunktionswerten und richtigen Dosierungen.

Adhärenzförderung

Beratung zur Einnahme, Vereinfachung des Einnahmeschemas, Erinnerungssysteme, Medikationspläne.

Aufklärung

Warum ist die Einnahme wichtig? Bedeutung der antihypertensiven Therapie oder der Lipidsenkung bei Diabetes und den Zusammenhang mit langfristigen Gefäßfolgen.

Wechselwirkungen

Wechselwirkungen mit dem Lebensstil oder mit Nahrungsergänzungsmitteln. Beispielsweise Risiken bei unkontrollierter Einnahme von Nahrungsergänzungen, Wechselwirkungen mit pflanzlichen Präparaten oder Nahrung.

Spätfolgen bei nicht gut eingestelltem Diabetes

Eine sorgfältige Betreuung ist entscheidend, denn ein nicht gut eingestellter Diabetes kann gravierende Spätfolgen entwickeln, die die Lebensqualität und Lebenserwartung der Patienten erheblich beeinträchtigen.

Mikroangiopathie (kleine Gefäße)

Makroangiopathie (große Gefäße)

Risiko: Diabetisches Fußsyndrom

Bei Diabetes ist die Wundheilung häufig gestört. Die Hyper­glykämie führt zu chronischer Inflammation, gestörter Makrophagenfunktion, verringerter Neovaskularisation, schlechter extrazellulärer Matrixbildung und Mikro- sowie Makrozirkulationsproblemen. Auch die Hautdurchblutung, insbesondere in den unteren Extremitäten, ist bei diabetischen Patienten oft beeinträchtigt. Dadurch sind kleinere Verletzungen oder Druckstellen risikoreich, werden zu Beginn oft gar nicht bemerkt und sind für das Entstehen tiefer Ulzera (z. B. beim Diabetisches Fußsyndrom) verantwortlich.

Insbesondere wenn Neuropathie (Sensibilitäts- und Schmerzverlust), periphere arterielle Verschlusskrankheit und Fußdeformitäten vorhanden sind, steigt das Risiko enorm. Auch Mikroangiopathie (z. B. Retinopathie oder Nephropathie) korreliert mit schlechterem Verlauf eines Fußulcus. 

Mehrwert durch die Betreuung in der Apotheke

Fußinspektion und Beratung

Schuh- und Einlagenberatung

Hautpflege & Nagelpflege

Wund- und Druckstellenmanagement:

Überwachung und Erinnerung

Wenn ein Patient mit Diabetes eine Fußwunde oder Druckstelle zeigt, ist dies ein Alarmsignal, oftmals ist hier bereits eine mikro- oder makrovaskuläre Erkrankung fortgeschritten. Die Apotheke sollte eng mit dem behandelnden Ärzteteam vernetzt sein und Betroffene konsequent auf Folgetermine, Hygiene, Adhärenz und richtige Versorgung hinweisen.

Tipps für die Umsetzung in der Apotheke

Erstgespräch & Datenerhebung

Medikamentöse Betreuung & Polymedikation

Stoffwechselentgleisungen

Spätfolgen-Screening und Prävention

Fuß- und Hautpflege

Nachsorge und kontinuierliche Betreuung

Motivation & Lebensstil-Integration

Fazit

Für die Apotheke ist die Betreuung von Menschen mit Diabetes mellitus eine anspruchsvolle, aber auch lohnende Aufgabe. Indem die Apotheke nicht nur das Arzneimittel aushändigt, sondern in umfassender Weise begleitet, bei der Unterscheidung der Diabetesformen, der Unterstützung bei Stoffwechselentgleisungen, der Überwachung von Polymedikation, der Prävention von mikro- und makrovaskulären Spätfolgen sowie speziell bei Wundheilungsproblemen und dem diabetischen Fuß, kann sie einen erheblichen Mehrwert schaffen. Diese Betreuung entlastet das Versorgungssystem, verbessert die Lebensqualität der Betroffenen. Entscheidend ist der kontinuierliche Dialog, die enge Zusammenarbeit mit ärztlichen und pflegerischen Partnern sowie eine empathische Ansprache der Betroffenen mit ihren individuellen Lebensumständen und -zielen.

Eine engmaschige Betreuung in der Vor-Ort-Apotheke verbessert nachweislich die gesundheitliche Perspektive von Diabetikern. Dieses wurde auch in der Studie GLICEMIA 2 bestätigt. So konnte eine statistisch signifikante Senkung des HbA1C-Werts ermittelt werden. Teilnehmenden Apotheken in Bayern gelang es in persönlichen Patientengesprächen und Gruppenschulungen Betroffene zu mehr Bewegung und Lebensstiländerungen verbunden mit Gewichtsreduktion zu animieren. Bewertet wurden die Veränderungen bei rund 198 Studienteilnehmenden. So sank bei den intensiv in der Apotheke betreuten Patienten der HbA1c-Wert im Mittel von 8,00 auf 7,30 Prozent innerhalb eines Jahres. In der Kontrollgruppe wurde im gleichen Zeitraum nur eine gemittelte Senkung von 7,90 auf 7,60 Prozent ermittelt.

Quelle: https://www.wipig.de/ueber-uns/wissenschaft/wissenschaftliche-projekte/item/glicemia-2-0

Der Autor Daniel Finke

Daniel Finke ist Apotheker und neben dieser Tätigkeit seit mehreren Jahren als Referent für zahlreiche Apothekerkammern, Verbände und Pflegeeinrichtungen tätig. Sein Schwerpunkt liegt auf den praxisrelevanten Themen aus der Selbstmedikation, der leitliniengerechten Therapie und der Arzneimittel-Therapie-Sicherheit der Patienten.