Strahlenschäden

Strahlenverletzungen sind Schädigungen von Gewebe, Organen oder des ganzen Körpers nach Exposition mit Röntgenstrahlung oder anderer ionisierender Strahlung.

Dieser Artikel klärt über Strahlenverletzungen bei Unfällen mit ionisierenden Stoffen auf. Reaktionen nach Strahlentherapien im Zusammenhang mit Tumorbehandlungen werden im Artikel onkologische Wunden behandelt.

Ist ionisierende Strahlung immer gefährlich?

Durch natürlich vorkommende Hintergrundstrahlung ist der Körper kontinuierlich einer Strahlendosis von 1 bis zu 10 Millisievert (mSV) pro Jahr ausgesetzt.

Die natürliche Hintergrundstrahlung setzt sich zusammen aus kosmischer Strahlung, externer terrestrische Strahlung und radioaktiven Elementen im Körper, die durch Atemluft sowie Nahrung aufgenommen wurden. Dazu kommt eine jährliche Dosis von etwa 1,7 mSV durch ionisierende Strahlung ausgehend von medizinischen und technischen Anwendungen. Ab einer Dosis von 100 mSv können Schädigungen von Ungeborenen auftreten. Erste Hautreaktionen können ab 500 mSv entstehen. Eine Dosis von 3000 bis 4000 mSv hat tödliche Folgen bei 50 % der Betroffenen.

Was ist der Unterschied zwischen Sievert und Gray?

Der Körper absorbiert Energie der ionisierenden Strahlung. Die Einheiten Sievert (Sv) und Gray (Gy) sind ein Maß für die absorbierte Energie pro Masse in Joule pro Kilogramm. Im Gegensatz zur Energiedosis Gy wird die Äquivalenzdosis Sv abhängig von der biologischen Wirkung der jeweiligen Strahlungsart gewichtet.

Symptome

Die Symptome einer Strahlenverletzung hängen von der Strahlendosis und der Lokalisation ab. Jedes Organ kann durch Strahlung sowohl akut als auch chronisch geschädigt werden.

Lokale Strahlenverletzungen der Haut und des darunter liegenden Gewebes werden kutane Strahlenschäden genannt. Ein solcher Strahlenschaden entsteht durch akute und lokal begrenzte Strahlendosen bis etwa 3 Gy. Zu möglichen ersten Symptomen gehören Hautrötungen oder Nekrosen. Späte Folgen einer Strahlenexposition sind veränderte Pigmentierungen (Hyper- und Hypopigmentierung), fortschreitende Verdickung (progressive Fibrose) der Haut sowie Erweiterte Kapillargefäße (Teleangiektasien).

Die Symptome nach einer Ganzkörper-Strahlenexposition laufen in drei aufeinanderfolgenden Phasen ab. Wenige Minuten bis zu zwei Tage nach der Exposition sind Betroffene lethargisch, schlapp und zeigen Magen-Darm-Symptome. Dazu gehören Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen und Durchfall. Diese Phase heißt Prodromalphase. Darauf folgt eine symptomlose Phase, die bis zu drei Wochen andauern kann. In der anschließenden offensichtlichen systematischen Erkrankungsphase äußern sich die Symptome abhängig von den betroffenen Organsystemen.
 

Welche Symptome treten bei akuten Strahlensyndromen auf?

Sehr hohe Strahlendosen von über 30 Gy auf den ganzen Körper verursachen das zerebrovaskuläre Syndrom. Charakteristisch sind neurologische Symptome, wie Zittern (Tremor), epileptische Anfälle, Störungen der Bewegungskoordination (Ataxie) und Hirnschwellungen. Betroffene versterben spätestens zwei Tage nach der Strahlenexposition.

Nach Ganzkörperdosen von 6 bis 30 Gy treten Symptome des Magen-Darm-Traktes auf. Das wird als gastrointestinales Syndrom bezeichnet. Nach heftigen Symptomen in der Prodromalphase sterben in der symptomlosen Latenzzeit die Zellen der gastrointestinalen Schleimhaut ab. Nicht-behandelbare Übelkeit, Erbrechen und Durchfall sind die Folge. Dadurch dehydriert der Körper und das Blutvolumen wird geringer. Das Absterben der Zellen kann Nekrosen in der Darmschleimhaut verursachen. Als Folge kann der Darm perforieren, was zur lebensgefährlichen Blutvergiftung (Sepsis) führt.

Überlebende des gastrointestinalen Syndroms entwickeln das hämatopoetische Syndrom. Erste Symptome des hämatopoetischen Syndroms treten nach einer Latenzphase von etwa zwei bis vier Wochen auf. Diese werden durch eine Abnahme sämtlicher Blutzellen (Panzytopenie) im Körper verursacht. Nach dem natürlichen Absterben der zirkulierenden Blutzellen werden nicht mehr ausreichend Zellen nachgebildet, um diese zu ersetzen. Dadurch steigt die Infektionsgefahr und Petechien sowie Schleimhautblutungen entstehen. Außerdem entsteht langsam und schleichend eine Anämie, weil die Erythrozyten die längste Überlebenszeit im Vergleich zu den anderen Blutzellen haben. Im Allgemeinen tritt dieses Syndrom nach Ganzkörperdosen von etwa 1–6 Gy auf. Nach niedrigen Ganzkörperdosen von etwa 1 Gy können Betroffene bis zu fünf Wochen symptomlos sein.

Ursachen und Entstehung

Ursächlich für Strahlenverletzungen sind medizinische und technische Anwendungen sowie Unfälle mit ionisierenden Stoffen.

Die Wirkung ionisierender Strahlung hängt von der Dosis und vom betroffenen Gewebe ab. Besonders empfindlich gegenüber ionisierender Strahlung sind Zellen, die noch nicht differenziert sind und sich sehr schnell teilen. Dazu gehören Krebs- und Stammzellen. Kaum empfindlich hingegen sind Muskel- und Gehirnzellen.

Grundsätzlich sind kurze Strahlenexpositionen in hoher Dosis schädigender als niedrige Strahlendosen über einen längeren Zeitraum. Niedrige Strahlendosen können das Zellwachstum hemmen, während hohe Dosen den Zelltod auslösen. Die schädigende Wirkung kann direkt auf Ebene der DNA, RNA oder Proteine eintreten. Häufiger jedoch führt ionisierende Strahlung zu einer indirekten Schädigung durch die Entstehung freier Radikale.

Risikofaktoren

Unfälle mit Kontakt zu ionisierenden Stoffen heißen Kontamination.

Eine Kontamination kann abhängig von Zustand des Stoffes innerlich sowie äußerlich stattfinden. Die Stoffe können flüssig oder fest sein, und auch als Staub eingeatmet werden. Eine äußerliche Kontamination bleibt auf die Haut beschränkt. Bei einem Eindringen der Stoffe spricht man von innerlicher Kontamination. Dies geschieht durch Einatmung, Verschlucken oder Eindringen in tiefere Gewebeschichten durch die Haut oder Wunden.

Eine unbeabsichtigte Strahlenexposition kann durch industrielle oder medizinische Strahlenquellen ausgelöst werden. Die Allgemeinbevölkerung ist, neben therapeutischen Verfahren, bei Strahlenunfällen sowie Atomwaffentests einer Gefahr für Strahlenverletzungen ausgesetzt.

Personen, die beruflich mit ionisierender Strahlung umgehen oder mit Röntgen- und anderen Strahlentherapiegeräten arbeiten, sind einem besonders hohen Risiko für Strahlenverletzungen ausgesetzt.

Behandlung und Therapie

Strahlenverletzungen bedürfen immer einer sofortigen medizinischen Versorgung.

Unbehandelt verlaufen viele Strahlenexpositionen tödlich. Bei Unfällen mit ionisierender Strahlung steht die Behandlung von schweren traumatischen Verletzungen oder lebensbedrohlichen Erkrankungen an erster Stelle.

Wenn unklar ist, welche Art der Kontamination vorliegt, muss der gesamte Körper mit einem Geiger-Müller-Zählrohr (Geigerzähler) gemessen werden. Nase, Ohren und Mund werden mit feuchten Tüchern ausgewischt, die dann ebenfalls mit einem Geigerzähler überprüft werden. Dadurch können mögliche innere Kontaminationen identifiziert werden. Ebenso sollten Erbrochenes, Stuhl und Urin getestet werden.

Erste Maßnahmen nach äußerer Kontamination mit radioaktiven Stoffen sind:

  • Entfernung von Kleidung und Schmutzresten. Kontaminierte Kleidung muss in beschrifteten Behältnissen gesammelt werden, damit keine Radioaktivität in die Umwelt gelangt.
  • Dekontamination von Wunden mit Kochsalzlösung. Die Wundränder können dabei einem minimalen Debridement unterzogen werden.
  • Intakte Haut und Haare unter sauberem Wasser dekontaminieren, evtl. unter Einsatz eines Schwamms. Die Spülflüssigkeit muss dabei gesondert aufgefangen werden und darf nicht in das Abwasser gelangen.
  • Überprüfung des Fortschritts der Dekontamination mit einem Geigerzähler oder anderen geeigneten Methoden.

Bei einer inneren Kontamination durch Verschlucken sollte unmittelbar nach der Exposition ein Erbrechen herbeigeführt werden. Der Mund sollte ausgiebig mit Kochsalzlösung oder verdünntem Wasserstoffperoxid gespült werden. Kontaminierte Augen sollten mit Wasser oder Kochsalzlösung gespült werden.

Abhängig vom verursachenden radioaktiven Element müssen gegebenenfalls weitere spezifische Maßnahmen eingeleitet werden. Dazu gehören u.a. die Sättigung des Zielorgans, z.B. durch Kaliumiodid für Jodisotope, oder ein Ionenaustausch im Gastrointestinaltrakt.

Heilungsverlauf

Bei akuten Strahlenexpositionen bis etwa 2000 mSv findet die vollständige Genesung meist innerhalb eines Monats statt. Dennoch können Langzeitfolgen auftreten.

Eine Strahlendosis von 3000 bis 4000 mSv nimmt in 50 % der Betroffenen ohne eine medizinische Versorgung einen tödlichen Verlauf. Ab 8000 mSv besteht ohne eine medizinische Behandlung praktisch keine Überlebenschance. Beim zerebrovaskulären Syndrom tritt der Tod immer innerhalb weniger Tage ein. Beim gastrointestinalen Syndrom bleiben lebenslange Schädigungen. In einer tödlichen Ausprägung versterben Betroffene meist innerhalb wenigen Wochen.

Mögliche Komplikationen

Das hämatopoetische Syndrom erhöht die Wahrscheinlichkeit an Leukämie zu erkranken.

Außerdem können tödliche Infektionen oder Hämorrhagien auftreten. Nach einer Strahlenexposition der Haut steigt das Risiko für die Entstehung von Plattenepithelkarzinomen. Durch Strahlung geschädigte Haut wird zudem dünn und atrophisch. Dadurch können selbst durch leichte Berührungen Wunden entstehen.

Wenn ionisierende Strahlung Wunden oder Geschwüre verursacht, heilen diese nur schwer wieder ab. Betroffene leiden außerdem häufig an starken Schmerzen. Die Heilung einer Strahlenwunde dauert mehrere Monate bis Jahre und erfordert oft operative Eingriffe.

Überlebende von akuten Strahlenverletzungen haben ein erhöhtes Risiko für das Auftreten von strahleninduziertem Krebs.

Die Autorin Dr. Roxane Lorenz
Dr. Roxane Lorenz

Nach ihrem Studium der Biologie an der Ruhr-Universität Bochum promovierte Dr. Lorenz zum Dr. rer. nat. Seit 2012 ist sie in der medizinisch-wissenschaftlichen Abteilung bei Dr. Ausbüttel tätig, seit 2018 auch als Leiterin dieser Abteilung sowie der Forschungsabteilung.