Schweigepflicht und Schweigepflichtentbindung

Schweigepflicht und Schweigepflichtentbindung

Die ärztliche Schweigepflicht – oder Verschwiegenheitspflicht - ist die wesentliche Grundlage eines vertrauensvollen Arzt-Patienten-Verhältnisses. Sie gilt nicht nur für Ärztinnen und Ärzte, sondern ist für das gesamte Praxisteam relevant.

Als Schweigepflicht wird die Pflicht verschiedener Berufsgruppen oder Personen bezeichnet, alle Informationen, die sie im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit erhalten, nicht an außenstehende Dritte weiterzugeben. Zu den vertraulichen Informationen gehören z.B. Krankheiten, Diagnosen, Behandlungen oder der Unfallhergang bei Verletzungen. Die Schweigepflicht schließt auch die private Situation, finanzielle Lage und persönliche Daten von Patientinnen und Patienten ein. Ziel der Schweigepflicht ist der Schutz der Privatsphäre. Jeder hat das Recht, dass private Daten vertraulich behandelt werden. Wer solch schützenswerte Informationen preisgibt, kann sich strafbar machen.

Für wen gilt die Schweigepflicht?

Die Schweigepflicht gilt nicht nur für Ärztinnen und Ärzte, sondern für das gesamte Praxisteam.

Die ärztliche Schweigepflicht ist nicht nur relevant für Ärztinnen und Ärzte. Sie gilt für das gesamte Mitarbeiterteam. Dazu gehören auch Personen, die zur Berufsvorbereitung in der Praxis tätig sind, wie Auszubildende oder Praktikanten1. Die Schweigepflicht gilt gegenüber jedermann. Das bedeutet, dass auch gegenüber engen Familienangehörigen, sowohl den eigenen als auch denen der Patientin oder des Patienten, geschwiegen werden muss. An mitbehandelnde Praxen dürfen Befunde nur bei zuvor von der Patientin oder dem Patienten unterzeichneter Schweigepflichtentbindung übermittelt werden. Das gilt auch, wenn überwiesen wurde. Ebenso dürfen Krankenkassen oder Verrechnungsstellen ohne schriftliche Zustimmung der Patientin oder des Patienten keine persönlichen Daten erhalten.

Video: Schweigepflicht in der Aztpraxis

Bei Start des Videos werden Informationen an YouTube/Google übermittelt. Mehr hierzu unter: Google Datenschutzerklärung.

Rechtliche Grundlagen

Die Schweigepflicht resultiert aus dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung.

Schon in der Antike wurde die ärztliche Schweigepflicht im Eid des Hippokrates aufgeführt. In Deutschland ist die Schweigepflicht Konsequenz aus dem verfassungsmäßig geschütztem Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Dieses Recht wurde vom Bundesverfassungsgericht aus den Artikeln 1 Absatz 1 und Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes hergeleitet. Es beschreibt das Recht, über die Preisgabe und Verwendung von personenbezogenen Daten eigenständig bestimmen zu dürfen2.

Die ärztliche Schweigepflicht ist in § 9 Absatz 1 der Musterberufsordnung für Ärzte (MBO-Ä) bzw. den entsprechenden Bestimmungen der Berufsordnungen der Landesärztekammern geregelt. Demnach haben Ärztinnen und Ärzte über das, was ihnen in ihrer Eigenschaft als Ärztin oder Arzt anvertraut oder bekannt geworden ist – auch über den Tod der Patientin oder des Patienten hinaus – zu schweigen3.

Mit der ärztlichen Schweigepflicht korrespondiert das durch § 203 des Strafgesetzbuches (StGB) geschützte Patientengeheimnis. Verstöße der Ärztin oder des Arztes gegen die Verschwiegenheitspflicht werden durch § 203 StGB strafrechtlich gemaßregelt. § 203 StGB regelt auch, dass MFA als „berufsmäßig tätiger Gehilfe“ in die Schweigepflicht eingebunden sind. Die Schweigepflicht gilt auch nach Ende des Arbeitsverhältnisses fort4.

Welche Patientendaten dürfen trotz Schweigepflicht übermittelt werden?

Unter bestimmten gesetzlich geregelten Voraussetzungen können Patientendaten an Dritte übertragen werden5:

  • Gefahr im Verzug bei einer Straftat.
  • Bevollmächtigten für medizinische Angelegenheiten (z. B. durch eine Patientenverfügung) oder gerichtlich bestellten Betreuern können Informationen übermittelt werden. Andernfalls wäre es kaum möglich, die Interessen der Betroffenen zu wahren.

Zudem gilt das Prinzip der sogenannten ethischen Güterabwägung: Wenn eine Person beispielsweise aufgrund einer Demenz oder eines schweren Unfalls nicht mehr in der Lage ist, eigene Entscheidungen zu treffen, werden allgemein die nächsten Angehörigen informiert. Wer das nicht möchte, kann sich beizeiten um eine juristisch korrekte Patientenverfügung kümmern. Dadurch erhalten alle Beteiligten Sicherheit im Umgang mit den Patienteninformationen und Behandlungsentscheidungen.

  • Grundsätzlich dürfen Eltern gegen den Willen eines Minderjährigen keine Auskünfte erteilt werden. Dabei ist aber in Einzelfällen das Informationsbedürfnis der Eltern zur Ausübung ihrer Fürsorgepflicht gegen den Vertrauensschutz des Minderjährigen abzuwägen2.
  • Persönliche Daten und Informationen zu einer Unfallbehandlung, die vermutlich von einem Arbeitsunfall herrührt, können an die zuständige Berufsgenossenschaft übermittelt werden.
  • Diagnosedaten werden nach ICD-10 verschlüsselt an die Kassenärztliche Vereinigung und gesetzliche Krankenkasse übermittelt, um ärztliche Leistungen abzurechnen und die wirtschaftliche Arbeitsweise der Praxis nachzuweisen.
  • Im Rahmen einer gesetzlich geregelten Meldepflicht müssen einige ansteckenden Krankheiten wie Covid-19 an das Gesundheitsamt übermittelt werden. Im Infektionsschutzgesetz (IfSG) sind die Kataloge der meldepflichtigen Krankheiten sowie meldepflichtigen Krankheitserreger in den § 6 und § 7 IfSG geregelt6.
  • Stellen, die nach dem Sozialgesetzbuch ein Auskunftsrecht haben, um bestimmte Sachverhalte zu klären, können mit Anfragen an die Praxis herantreten. Beispiele sind ein Bericht für Gutachter des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen bzw. der Rentenversicherung oder Auskünfte über den Fortbestand der Arbeitsunfähigkeit im Rahmen eines Krankengeldanspruchs.
  • Üblicherweise müssen Patientinnen und Patienten bei Beantragung von Leistungen auf dem Formular auch die Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht erklären und die Namen der behandelnden Ärztinnen und Ärzte angeben. Stimmen Personen diesen Klauseln nicht zu, verstoßen sie ggf. gegen die Mitwirkungspflicht und beantragte Leistungen können ohne weitere Begründung abgelehnt werden.
  • Eine Behandlung von Suchtkranken mit Ersatzdrogen, die dem Betäubungsmittelgesetz unterliegen, muss an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte gemeldet werden.
  • Geburten werden an das Standesamt gemeldet.
  • Die Schweigepflicht gilt nicht, wenn eine Patientin oder ein Patient eine Untersuchung dulden muss, weil sie nach §§ 80 ff. Strafprozessordnung gerichtlich angeordnet wurde.

Schweigepflichtentbindung

Eine Schweigepflichtentbindung ist nur wirksam, wenn die Patientin oder der Patient sich freiwillig dazu entscheidet.

Deshalb muss der Patientin oder dem Patienten vorab mitgeteilt werden, für welche konkreten Fälle die Daten genutzt werden. Es reicht nicht aus, sich nach Abschluss eines Behandlungsvertrags eine allgemeine Einwilligung für alle denkbaren Fälle einzuholen. Per Gesetz braucht eine Schweigepflichtentbindung nicht in Schriftform vorliegen. Aus Beweisgründen ist es jedoch zu empfehlen, solche Einwilligungen schriftlich festzuhalten. Die schriftlich dokumentierten Patienteneinwilligungen basieren auf den Vorgaben der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO)7.

Mit einer Schweigepflichtentbindung können Patientinnen und Patienten das Praxisteam von der Schweigepflicht entbinden, sodass Daten an bestimmte Personen weitergeben werden dürfen.

Tipps und Hinweise

  • Das Telefonat am Empfang vor Publikum kann schnell zur Falle werden. Sobald in den Praxisräumen die Telefonate in Hörweite anderer Personen stattfinden müssen, sollte die namentliche Anrede der Person am Telefon unterbleiben. Dies gilt auch bei Terminvereinbarungen. Allein die Tatsache, dass eine Person überhaupt Patientin oder Patient einer Praxis ist, zählt zu den Geheimnissen, die vom gesamten Praxisteam gewahrt werden müssen. Auch wenn die namentliche Anrede aus Aspekten der Höflichkeit und einer gelungenen Kommunikation wertvoll ist, sollte sie nur außerhalb der Hörweite anderer Patientinnen und Patienten gewählt werden.
  • Stehen an der Anmeldung mehrere Patientinnen oder Patienten hintereinander, bekommen sie fast zwangsläufig Auskunft über Namen, Versicherung und Beschwerdebild der Mitwartenden. Deshalb sollten Staus am Empfang vermieden und die wartenden Personen um Diskretionsabstand gebeten werden. Gegebenenfalls kann der Empfangsbereich durch Bodenmarkierungen oder Bänder abgegrenzt werden.
  • Monitore sollten so aufgestellt sein, dass sie nicht einsehbar sind. Auch Patientenakten müssen vor fremden Augen geschützt werden. Dafür kann mit Trennwänden oder Sichtschutz gearbeitet werden.

Was droht bei Verstoß gegen die Schweigepflicht?

Verstöße gegen die Verschwiegenheitspflicht sind kein Kavaliersdelikt und können straf-, berufs- und zivilrechtliche Folgen haben.

Werden Informationen an Unbefugte weitergegeben, drohen Geldstrafen oder Haftstrafen bis zu einem Jahr. Die Freiheitsstrafe kann sich sogar auf zwei Jahre erhöhen, wenn gegen Entgelt oder in der Absicht, sich oder einen anderen zu bereichern oder einen anderen zu schädigen, gehandelt wird. Neben der strafrechtlichen Sanktion kann sich die Täterin oder der Täter zivilrechtlich auch schadensersatzpflichtig machen, beispielsweise bei Einkommenseinbußen, Verlust des Arbeitsplatzes oder Scheidungsfolgelast, wenn sich durch Indiskretion der Ehepartner trennt. Zusätzlich kann ein Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin im arbeitsrechtlichen Sinn, je nach Schwere des Verstoßes, eine Abmahnung oder Kündigung riskieren 4, 5.

Literatur

Die Autorin Dr. Roxane Lorenz
Dr. Roxane Lorenz

Nach ihrem Studium der Biologie an der Ruhr-Universität Bochum promovierte Dr. Lorenz zum Dr. rer. nat. Seit 2012 ist sie in der medizinisch-wissenschaftlichen Abteilung bei Dr. Ausbüttel tätig, seit 2018 auch als Leiterin dieser Abteilung sowie der Forschungsabteilung.