Mental Load in der Arztpraxis: Wenn Organisation zur unsichtbaren Belastung wird
Mit diesem Beitrag möchte ich das Phänomen „Mental Load“ ganz speziell im Praxisalltag für Medizinische Fachangestellte (MFA) beleuchten: Was verbirgt sich dahinter? Weshalb ist das Thema gerade für MFA so relevant? Ich decke typische – oft unsichtbare – Aufgaben und Belastungen auf, zeige, wie sie sich auf die Arbeit auswirken und gebe ein paar praktische Tipps zur Entlastung im Team. Außerdem werfe ich einen Blick darauf, warum Mental Load nicht nur ein „Jobproblem“ ist, sondern – zumeist weibliche – MFA besonders oft zwischen den Fronten von Familien-, Care-Arbeit und Praxis jonglieren müssen.
Jonglieren des Unsichtbaren
Das Patiententelefon klingelt, der Arzt steht mit einer Rückfrage an der Tür, die Bestellung der Wundauflagen ist noch offen – und nebenbei braucht eine Mutter mit Kind nicht nur Trost, sondern vor allem: Geduld. MFA sind Meisterinnen im Multitasking, doch neben den klar umrissenen Aufgaben häuft sich noch viel mehr an: Das Mitdenken, das Auf-dem-Schirm-haben, das Erinnern, Organisieren, Vorausplanen, mal-eben-so-Machen, im-Vorbeigehen-ein-kleines-Problem-lösen – kurz: Mental Load.
Gerade in Arztpraxen landet dieser unsichtbare Organisationsrucksack fast immer bei den (überwiegend weiblichen) MFA. Was das heißt? Oft ist es nicht die Menge der akuten Aufgaben, sondern die Summe der kleinen, dauerhaften Verantwortlichkeiten, die auf Dauer auslaugen und – auch in der Anerkennung der Arbeitsleistung – übersehen werden.
Wo Mental Load im Praxisalltag zuschlägt
- Dauerhaftes Mitdenken und unsichtbare Gedankenlisten
- MFA behalten nicht nur ihre eigenen Aufgaben im Blick, sondern merken sich Termine, garantieren einen reibungslosen Ablauf und fangen Fehlendes automatisch auf – meist ohne, dass es jemand bemerkt oder auch würdigt.
Lösung: Aufgaben regelmäßig transparent im Team sichtbar machen, To-Do-Listen digital oder analog gemeinsam führen. Auch „Kleinkram“ darf oder vielmehr soll auf die Liste!
- Ungerechte Arbeitsverteilung und klitzekleine Extras
- Die “Mädchen-für-alles”-Rolle: Immer dieselben kümmern sich um die Post, das Auftanken des Desinfektionsmittelspenders, die Akten, die Übergabe, die „mal eben“ zu erledigenden Aufgaben. Vieles wird selbstverständlich vorausgesetzt – meist von MFA, neben der eigentlichen Arbeit.
Lösung: Klare Aufgabenverteilung und Rotation. Wer macht was – und wie oft? Die kleinen Arbeitsschritte einmal alle mal aufschreiben, gezielt ansprechen und neu verteilen.
- Ständiges Beziehungs- und Stimmungsmanagement
- MFA moderieren Ärger, beruhigen Patienten, stimmen teamintern ab – oft wieder und wieder, zwischen Tür und Angel, ohne „offizielle“ Zuständigkeit.
Lösung: Probleme, die immer bei denselben landen, regelmäßig im Teamgespräch ansprechen. Tagesbriefings nutzen, um emotionale Last und Stimmung offen zu besprechen. Engmaschige Kommunikation statt „Das läuft schon irgendwie“. Manchmal braucht es dann, klare Grenzen zu setzen, dass es eben nicht mehr irgendwie so weiterläuft, sondern dass die Arbeitsbelastung neu umverteilt wird.
- Übernahme von Care-Arbeit – auch außerhalb der Praxis
- Gerade in Frauenberufen wie bei MFA verschmelzen die Belastungen aus Praxis und Privatleben oft. Nach der Schicht wartet zu Hause der Care-Job: Kochen, Hausaufgabenbetreuung, Familienorganisation. Mental Load endet selten an der Praxistür.
Lösung: Privates und Berufliches nicht gegeneinander ausspielen! Offene Kultur, die auch private Belastungen anerkennt, Pausen und flexible Lösungen unterstützt. Im Team Verständnis und Wertschätzung für „das Drumherum“ fördern.
- Die Erwartung, immer alles zu wissen und nie zu vergessen
- Von der neuen Abrechnungsziffer bis zur Materialnachbestellung: Alles soll funktionieren, Fehler werden kaum toleriert. Viele MFA leiden unter dem Druck, immer alles im Blick behalten zu müssen.
- Lösung:Fehlerfreundliche Praxis schaffen, gegenseitige Kontrolle („Vier-Augen-Prinzip“) nutzen, Wissen dokumentieren, statt im Kopf zu speichern. Niemand muss permanent alles wissen!
Mental Load ist unsichtbar – aber er ist da. Gerade MFAs tragen im Praxisalltag vieles, was nach außen gar nicht auffällt: Organisation, Krisenmanagement, stille To-dos, Teamstimmung. Häufig trifft das gezielt Frauen und verstärkt ohnehin schon ungerechte (gesellschaftliche) Erwartungen an Care-Arbeit.
Redet im Team offen über unsichtbare Arbeit und Mental Load! Was tragt ihr jeden Tag zusätzlich auf euren Schultern? Welche Aufgaben bleiben immer „an euch hängen“? Ich bin gespannt, was ihr so alles wuppen müsst und hoffe, dass ihr es sehr bald noch besser schafft, den Mental Load sichtbar zu machen und die Lasten gemeinsam zu verteilen. Nur so gewinnt Wertschätzung, Teamgefühl – und auch die Arbeit leichter und gesünder.
Viele Grüße
Eure Steffi