Grenzen setzen – schützen – unterstützen: Sexuelle Übergriffe in der Arztpraxis erkennen und handeln
Sexuelle Übergriffe am Arbeitsplatz Arztpraxis sind leider kein Einzelfall – sie reichen von scheinbar harmlosen Kommentaren über anzügliche Bemerkungen bis hin zu unerwünschten Berührungen. In diesem Beitrag erkläre ich euch, ab wann ein Übergriff beginnt, wie Medizinische Fachangestellte (MFA) erkennen, wo die Grenze liegt, welche rechtliche Einordnung es gibt. Auch biete ich euch praktische Tipps für einen sicheren Umgang an. Außerdem: Was gehört in einen Notfallplan und wann ist konsequentes polizeiliches Handeln nötig?
Ein Thema, das alle MFA betrifft
Ob ein lockerer Spruch zum Ausschnitt, unangenehme Bemerkungen beim Umziehen oder „zufälliges“ Berühren – sexuelle Übergriffe beginnen viel früher, als viele denken. Gerade MFA sind besonders gefährdet: Studien zeigen, dass bis zu zwei Drittel der Beschäftigten im Gesundheitswesen bereits belästigende Situationen erlebt haben. Die meisten Täter sind Patienten, manchmal aber auch Kollegen oder Vorgesetzte.
Wichtig: Sexuelle Belästigung ist kein “Charme”, kein Kavaliersdelikt – sie beginnt bei Worten und kann bis hin zu strafbaren Handlungen reichen.
Was zählt als sexueller Übergriff? Klare Definitionen und Einordnung
Laut Allgemeinem Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und Dienstanweisungen im Gesundheitsbereich gilt sexuelle Belästigung als jedes unerwünschte, sexuell bestimmte Verhalten, das die Würde der betroffenen Person verletzt. Dazu zählen verbal, nonverbal und körperliche Handlungen:
Typische Beispiele:
- Anzügliche, sexistische oder obszöne Bemerkungen („Na, der Ausschnitt ist aber heute tief!“)
- „Lustige“ Witze oder zweideutige Sprüche über Aussehen, Figur oder Privatleben
- Anstarren, Nachpfeifen, sexuell aufgeladene Gesten
- Unerwünschte Einladungen, sexuelle Angebote oder Aufforderungen
- „Zufällige“ Berührungen, Tätscheln, Streicheln, Umarmen ohne Einwilligung
- Zeigen, Zusenden oder Ablegen pornografischer Bilder
- Körperliche Übergriffe bis hin zur Nötigung
Wichtig zur Einordnung: Entscheidend ist, wie das Verhalten bei der betroffenen Person ankommt – nicht wie es von der anderen Person gemeint ist!
Anerkannte Strukturen/Einordnungen:
- Laut AGG (§3, Abs. 4): Jede unerwünschte, sexuell bestimmte Handlung mit Verletzung der Würde, auch in Form von Gesten, Sprache oder Bildern.
- Die Einordnung erfolgt seitens des Opfers: Nicht die Absicht zählt, sondern die Wirkung auf und Wahrnehmung durch das Opfer.
- Grobe Unterscheidung:
- Verbale Übergriffe: Kommentare, Nachfragen, Witze, Bemerkungen
- Nonverbale Übergriffe: Zeigen von Bildern, Gesten, unangemessenes Starren
- Körperliche Übergriffe: Anfassen, Festhalten, Übergriffe mit Zwang
Tipps & Handlungsempfehlungen für MFA
- Grenzen klar setzen: Deutlich zeigen und aussprechen, wenn etwas unerwünscht ist („Das ist nicht in Ordnung; ich möchte, dass Sie das lassen.“)
- Nicht bagatellisieren! Schon verbale Übergriffe müssen ernst genommen werden.
- Kollegen einbeziehen: Vorfälle immer im Team oder mit der Leitung ansprechen – Betroffene nie alleine lassen.
- Dokumentieren: Datum, Uhrzeit, beteiligte Personen, Verlauf und eigene Reaktion notieren.
- Nicht alleine bleiben: Nach Möglichkeit keine intimen Untersuchungen ohne Kollegin oder Kollegen als „Zeugin“ durchführen, besonders bei auffälligen Patienten.
- Unterstützung holen: Vorgesetzte einschalten, ggf. externe Unterstützung ins Boot holen.
- Beratungsstellen oder Gleichstellungsbeauftragte zur Situation befragen bzw. informieren.
- Ruhe bewahren: Aus der Situation entfernen, notfalls zum eigenen Schutz den Raum verlassen.
Was sollte ein Notfallplan im Team enthalten?
- Klare interne Meldewege (z.B. Ansprechperson im Team, Praxisleitung, Gleichstellungsstelle)
- Sofortmaßnahmen: Betreuung der Betroffenen, ggf. Behandlung abbrechen, Kollegen hinzuziehen
- Dokumentationspflicht für alle Vorfälle (auch Bagatellen!)
- Formulierung, ab wann Hausverbot, Unterlassungsaufforderung o.ä. verhängt wird
- Externe Hilfen: Beratungsstellen, Notfallnummern, ggf. medizinische oder psychologische Erstversorgung
- Schulung und Sensibilisierung des gesamten Teams
Wann ist die Polizei zu rufen?
Polizeiliches Handeln wird nötig, wenn:
- Körperliche Übergriffe (z.B. Zwang, tätliche Angriffe)
- Bedrohungen oder Erpressungen
- Wiederholte, schwerwiegende sexuelle Belästigungen trotz Unterlassungsaufforderung
- Straftatbestände nach §184i StGB („sexuelle Belästigung“) und §177 StGB („sexueller Übergriff und sexuelle Nötigung“)
Im Zweifel gilt: Lieber einmal zu oft die Polizei rufen, als Vorfälle hinzunehmen – Denn der Schutz der Mitarbeitenden steht an erster Stelle!
Einen anderen Blog Beitrag hatte ich zu aggressiven Patienten geschrieben, schaut einmal hier: https://www.draco.de/blog/aggressive-patienten/
Für ein sicheres Miteinander
Sexuelle Übergriffe sind kein zu tolerierender „Alltagsstress“ in der Praxis – sie sind eine klare Grenzüberschreitung, die das Team nachhaltig belastet. Je klarer ihr eure Grenzen vertreten könnt und je konsequenter das Praxisteam zusammenhält, desto besser könnt ihr euch und eure Kolleginnen und Kollegen schützen – und damit für ein respektvolles, sicheres Arbeitsumfeld sorgen.
Haltet zusammen, sprecht Dinge offen an und holt euch Unterstützung, gemeinsam gegen jede Form von sexueller Belästigung!
Habt ihr schon Erfahrungen mit sexuellen Übergriffen machen müssen? Wie seid ihr damit umgegangen? Was hat gut geklappt und was würdet ihr im Nachhinein anders machen? Ich bin gespannt auf eure Erfahrungen!
Viele Grüße
Eure Steffi