Beraten zu "Tabuthemen"

Beraten zu "Tabuthemen"

Wenn es um vermeintliche Tabuthemen wie Verstopfung oder Schuppenflechte geht, kann die Beratung in der Apotheke Scham besetzt und eine echte Herausforderung sein. 

Beschwerden werden unter Umständen nicht behandelt und auch rezeptfrei erhältliche Produkte nicht verkauft. Dabei kann es hilfreich sein, wenn Fachkräfte die Probleme diskret, aber gezielt ansprechen und Lösungen anbieten.

So reagieren Menschen, die sich schämen, in der Beratung

Wer diese gesellschaftlichen Regeln verinnerlicht hat, empfindet in der entsprechenden Situation Verlegenheit und Scham, die sich an Reaktionen wie Erröten oder an einem Senken der Stimme zeigen können. Weil dieses Verhalten auffällig ist, kann sich das Empfinden von Peinlichkeit verstärken. Mancher versucht sich mit Abwehr und Sprüchen wie „Das weiß ich selbst!“ zu schützen. Andere nutzen abwertende Bemerkungen, um das unangenehme Problem klein zu reden. Die sprachlichen Ausfälle von Betroffenen sind auch darauf zurückzuführen, dass es oft schwer ist, die richtigen Worte zu finden. Deshalb werden zum Teil umgangssprachliche, abfällig und unpassend klingende Bezeichnungen gewählt. Im Folgenden werden einige gesundheitliche "Tabuthemen" und zentrale Aspekte für das Kundengespräch darüber in der Apotheke vorgestellt.

Was sind Tabuthemen in der Beratung?

Es gibt Erkrankungen, über die spricht keiner gern. Das internationale Marktforschungs- und Beratungsinstitut YouGov weist in einer Studie nach, dass es wichtig ist, im direkten Gespräch Hemmnisse bei Betroffenen zu lösen. Denn das Empfinden von Scham führt dazu, dass Beschwerden von unangenehmen Erkrankungen bei jedem Dritten unbehandelt bleiben und viele rezeptfrei erhältliche Produkte nicht verkauft werden. Weil sich die Menschen schämen, ihre Probleme zu thematisieren, werden nach Angaben von YouGov Online-Kanäle (32%) fast ebenso häufig befragt wie die Apotheke vor Ort (34%). Doch es gibt Lösungsansätze für die Mitarbeitenden in Apotheken.

Themen, die den Intimbereich betreffen, wie etwa Geschlechtskrankheiten, aber auch Erkrankungen, die unangenehm auffallende Begleiterscheinungen mit sich bringen, wie Mundgeruch oder übermäßiges Schwitzen bei Hyperhidrose, werden in der Apotheke nicht gern angesprochen. Verstopfung und Fußpilz gehören ebenfalls zu den vermeintlichen Tabuthemen. Viele Menschen schämen sich, gesundheitliche Probleme wie Mundgeruch oder Inkontinenz zu thematisieren – „weil man in der Öffentlichkeit darüber nicht redet“. Dahinter steht ein gesellschaftlich stillschweigend akzeptiertes Regelwerk, nach dem ein offenes Gespräch über diese Tabuthemen nicht angemessen erscheint.

Im folgenden sind einige Tabuthemen mit konkreten Tipps für Sie zusammengefasst.

Psoriasis: Bei der Beratung die Scham vor der Schuppenflechte nehmen

Psoriasis (Schuppenflechte) ist eine Autoimmunerkrankung, äußerlich erkennbar an der Entzündung der Haut und silbrigen Plaques. Die Erkrankung kann weitere Beschwerden hervorrufen, etwa an den Gelenken – diese können sich steigern, wenn die Psoriasis nicht behandelt wird. In Deutschland sind rund zwei Millionen Menschen betroffen. 

Eine Botschaft bei einer Beratung in der Apotheke kann lauten: „Sie sind nicht allein, viele leiden unter ähnlichen Problemen.“ Im Zentrum können Tipps zur Hautpflege sowie Informationen zur Erkrankung und deren Therapie stehen. Zur medikamentösen Therapie durch den Hausarzt oder die Hausärztin gehört immer auch eine Basistherapie mit rückfettenden, wirkstofffreien Cremes, Salben oder Lotionen. Ein konkreter Tipp für Ihre Kunden kann sein, dass ein mehrfaches Auftragen der Cremes die Haut vor Rissen und Hautreizungen schützt sowie vor dem Austrocknen bewahrt. Auch Juckreiz kann dadurch gelindert werden.

Unangenehmer Mundgeruch: Die Hygiene verbessern

Wenn übler Atem nicht weichen will, steckt laut der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) in vielen Fällen schlechte Mundhygiene dahinter. Das ist bei einer Beratung in der Apotheke ein besonders sensibles Thema. Besser kann es hier sein, mögliche Maßnahmen positiv auszudrücken, etwa der Verweis auf Zahnseide, Interdentalbürsten oder einen speziellen Schaber für die Zungenreinigung. 

Apotheken-Mitarbeitende können auch die Möglichkeit erläutern, dass die flüchtigen schwefelartigen Verbindungen in der Atemluft in der Arztpraxis mit einem sogenannten Halimeter gemessen werden. Ein atemerfrischendes Mundwasser hilft oft allenfalls vorübergehend – Hals-Nasen-Ohren-Ärzte empfehlen eher Salbeitee oder entsprechende Mundspülungen, daran kann sich auch ein Beratungsgespräch mit Betroffenen orientieren.

Gegen die Angst vor vermehrtem Schwitzen: Hyperhidrose

Von Hyperhidrosis (griechisch hyper = zu viel, hidros = Wasser) spricht man, wenn der Schweiß unabhängig von Temperatur oder körperlicher Anstrengung auftritt. Die Ursachen sollten mit speziellen Tests beim Arzt überprüft werden, denn eine unbehandelte Hyperhidrose kann sich negativ auf die Haut auswirken: Das Risiko für Pilzinfektionen, Warzen oder bakterielle Infektionen steigt und sorgt dafür, dass die Betroffenen sich am liebsten aus der Öffentlichkeit zurückziehen möchten.

Zu den ärztlichen Therapiemöglichkeiten zählen Medikamente oder etwa Spritzen mit Botulinumtoxin. Als erste Hilfe können Mitarbeitende in der Apotheke Antitranspirantien anbieten, die wirken, indem sie die Ausgänge der Schweißdrüsen verengen – bis zu 60%weniger Schweiß gelangt auf diese Weise an die Hautoberfläche. Deos überdecken hingegen vor allem den Geruch mit parfümierten Inhaltsstoffen.

Beratung zur Obstipation: Bei Verstopfung mögliche Ursachen ansprechen

Eine Verstopfung kann nicht nur durch die Ernährung verursacht werden, sondern verschiedene Gründe haben. Häufig gehört Stress dazu, der auch im Darm verarbeitet wird. Das bedeutet, man atmet anders und schluckt viel mehr Luft. Eine andere Möglichkeit: Die Person trinkt zu wenig. Unter Umständen liegt aber auch eine Erkrankung vor, die ärztlich abgeklärt werden muss. 

Ein Beratungsgespräch in der Apotheke kann mit der Frage nach dem Trinkverhalten beginnen. Dadurch kann sich ein erster Anhaltspunkt ergeben, wie die Verstopfung verursacht wird. Eine tröstliche Aussage für die Betroffenen folgt daraus: Hinter ihrem Verdauungsproblem muss nicht immer ein großes Krankheitsbild stecken, manchmal können auch Kleinigkeiten hilfreich sein – wie ein ausgewogener Flüssigkeitshaushalt im Körper, der sich etwa durch das regelmäßige Trinken von Kamillentee erreichen lässt. Dessen beruhigende Wirkung kann den Darm entspannen. Auch ein sanftes Abführmittel kann Linderung verschaffen. Dennoch gilt es, darauf hinzuweisen, dass die Ursache einer Verstopfung bei anhaltenden Problemen mit dem behandelnden Arzt geklärt werden muss.

Die Scham nehmen bei Geschlechtskrankheiten, Herpes und Pilzinfektionen

Wer mit einem Gesundheitsproblem wie einer Herpes- oder Pilzinfektion oder mit dem Verdacht oder der Diagnose einer Geschlechtskrankheit in eine Apotheke kommt, hat den ersten Schritt bereits getan: Er oder sie signalisiert dadurch, dass Hilfe von einem Experten benötigt wird. Druckst derjenige herum, dann eröffnen Nachfragen die Chance, zu erfahren, was der Kunde wirklich benötigt. Dass Apotheken-Mitarbeitende dabei kein Blatt vor den Mund nehmen und Beschwerden benennen können, zeigen Studienergebnisse des Marktforschungsinstituts YouGov. Bis zu 60% der Befragten würden es befürworten, vom Apothekenteam ganz konkret auf ihre Beschwerden angesprochen zu werden. Auch wenn die Behandlung der Erkrankung unter Umständen dann beim Arzt erfolgen muss, können Mitarbeitende in Apotheken mithilfe von Fragen verdeutlichen, dass sie sich mit der Lösung des Problems befassen und unterstützen möchten. Dabei haben sie im Beratungsgespräch verschiedene Möglichkeiten.

Allgemeine Tipps für eine empathische Beratung zu Tabuthemen

Offene Fragen, um das Gespräch zu starten

Will man mehr über die offenbar peinliche, gesundheitliche Angelegenheit erfahren, kann man sich zunächst über offene Fragen annähern wie: „Was bereitet Ihnen Probleme?“ “Wie äußern sich die Beschwerden?”. Wenn das Gespräch einmal ins Rollen gekommen ist, ist es meist auch möglich detailliertere und konkretere Informationen zu erfragen. 

Geschlossene Fragen sind eher nicht der richtige Weg

Wenn kurze Antworten erwartet werden, empfehlen sich geschlossene Fragen, die meist mit einem Hilfsverb oder einem Verb beginnen wie „Haben Sie ein Rezept?“ “Waren Sie schon beim Arzt?”. Kunden, die mit einem schambehafteten Thema in die Apotheke kommen, können sich dadurch brüskiert und wie in einem Verhör fühlen - hier bietet es sich an, das Gespräch eher mit offenen Fragen zu führen.

Mit einer Suggestivfrage die Meinung beeinflussen

Wenn ein Kunde oder eine Kundin zum Beispiel von wochenlang andauernden Juckbeschwerden im Intimbereich berichtet, könnte eine Frage wie „Meinen Sie nicht auch, es wäre besser, einen Arzt zu fragen?“ den Entschluss beschleunigen, die Möglichkeit einer Geschlechtskrankheit überprüfen zu lassen. Bei solchen Suggestivfragen sind die Antworten bereits eingebaut. Sie sollten aber sparsam verwendet werden. Reagiert der oder die Angesprochene irritiert oder unwillig, kann eine kurze, einleuchtende Begründung folgen, etwa: „Ich frage, weil es bei Ihren Symptomen wichtig ist, eine ansteckende Erkrankung auszuschließen.“ Diese Aussage, eine Erkrankung ausschließen zu wollen, erleichtert Betroffenen das Gespräch und sorgt für mehr Offenheit in der Beratungssituation.

Ehrensache bei der Beratung: Diskretion

Themen wie die Beratung bei möglichen Geschlechtskrankheiten, die als peinlich empfunden werden, sollten am besten leise und nicht vor großem Publikum besprochen werden. Dabei kann es hilfreich sein, vor Ort eine Beratung oder den Kauf von Medikamenten und Hilfsmitteln in diskreter Atmosphäre zu ermöglichen. Zusätzlich ist es möglich, dass Apotheken eine persönliche Beratung durch ihre Fachleute über das Internet – etwa in einem Chat – anbieten. Werden als Folge davon frei verkäufliche Medikamente bestellt, müssen diese nur noch abgeholt werden.

Probleme ernst nehmen, nach Lösungen suchen

Wichtig ist es, dass die Apotheken-Kunden merken: Ihr Anliegen wird ernst genommen und der Mitarbeitende bemüht sich, die Probleme herauszuhören. Dazu sollte ganz sachlich eine Beratung angeboten werden, in der Körperfunktionen oder Geschlechtsteile wie selbstverständlich beim Namen genannt werden. Apotheken-Angestellte müssen allerdings auch damit rechnen, dass ihr Vorschlag abgelehnt wird und die Fragen unbeantwortet bleiben. Hören Sie dem Kunden aufmerksam zu, Sie können ein Beitrag dazu leisten, dass Erkrankungen ärztlich abgeklärt oder mit Apotheken üblichen Mitteln behandelt werden.

Literatur

Literatur

Die Autorin Claudia Pruck
Claudia Pruck Portrait

Claudia Pruck ist PTA und seit 1999 selbstständige Referentin. Neben Produktschulungen, Kommunikationstrainings und Vorträgen an PTA-Schulen ist Claudia Pruck auch als Moderatorin für unsere DRACO® Workshops tätig.