Wie der Schlaf die Wundheilung beeinflusst

Wie der Schlaf die Wundheilung beeinflusst

Der Schlaf kann über die „innere Uhr“, den zirkadianen Rhythmus, viele Vorgänge im menschlichen Körper beeinflussen, die eine wichtige Rolle bei der Wundheilung spielen.1 Was bedeuten diese Zusammenhänge für die Pflege?

Was passiert während des Schlafs im Körper?

Menschen „verschlafen“ bis zu einem Drittel ihrer Lebenszeit.2 Verantwortlich für das Schlafen und Wachsein ist der zirkadiane Rhythmus, der vom suprachiasmatischen Kern (suprachiasmatic nucleus, SCN) – einem Teil der Gehirnregion Hypothalamus – gesteuert wird. Es ist noch nicht vollständig geklärt, warum der menschliche Körper Schlaf braucht und welche Vorgänge währenddessen ablaufen. Es gibt jedoch zahlreiche Hinweise, dass der zirkadiane Rhythmus die folgenden Mechanismen beeinflusst:

  • Umbau- und Regenerationsvorgänge im Gehirn und Nervensystem, während sich neuronale Prozesse verlangsamen1,2
  • Verstärkte Synthese von Wachstumshormonen vor allem zu Beginn des Schlafs und von Kortison in der zweiten Schlafhälfte3
  • Verlangsamung der Stoffwechselrate um 15 % im Vergleich zum Wachzustand bei gleichzeitiger Verringerung der Körperkerntemperatur und Muskelaktivität3
  • Verstärkung regenerativer Vorgänge (Reparaturprozesse) in vielen Körperzellen – darunter Haut-, Darm- und Blutzellen4

Diese Veränderungen sind in den einzelnen Schlafphasen unterschiedlich ausgeprägt (Tab. 1).1-4

PhaseDauer pro SchlafzyklusAnteil an der Gesamt-SchlafenszeitTypische Vorgänge
N1 bis N3: Non-Rapid-Eye-Movement-Phase (NREM)-Phase (Tiefschlaf)
N1

Leichter Schlaf
1 - 5 Minuten5 %
  • Muskelspannung (Muskeltonus) vorhanden
  • Regelmäßige Atmung
N2

Tieferer Schlaf
25 Minuten (Verlängerung bei jedem Zyklus)45 %
  • Herzfrequenz und Körpertemperatur sinken
  • Gedächtniskonsolidierung
  • Möglich: Bruxismus (Zähneknirschen)
N3

Tiefster Schlaf

Slow-Wave-Schlaf (SWS)
20 - 40 Minuten25 %
  • Reparatur von Gewebe
  • Aufbau von Knochen und Muskeln
  • Stärkung des Immunsystems
  • Möglich: Schlafwandeln, Bettnässen
  • Hinweis: Beim Wecken aus dieser Phase sind bis zu 1 Stunde kognitive Einschränkungen (Schlafträgheit) möglich.
REM

(Rapid Eye Movement)
10 Minuten bis 1 Stunde (Verlängerung bei jedem Zyklus)25 %
  • Nicht erholsamer Schlaf
  • Möglich: Träume und Albträume
  • Bewegung der Augen- und Zwerchfellmuskeln
  • Unregelmäßige Atmung
  • Erhöhter Gehirnstoffwechsel
  • Erhöhter, variabler Puls und Blutdruck
Schlafphasen im Überblick

Der menschliche Schlaf besteht aus verschiedenen Phasen, die während einer Nacht bis zu fünfmal durchlaufen werden (Schlafzyklus). Ein Schlafzyklus dauert 90 bis 110 Minuten.2

Wie hängen Schlaf und Wundheilung zusammen?

Die regenerativen Prozesse während des Schlafes beeinflussen auch die Wundheilung. Dabei wirken verschiedene Mechanismen zusammen.4,6-8

Zirkadiane Oszillatoren („innere Uhr“) in Hautzellen

Neben dem Taktgeber des zirkadianen Rhythmus im SCN (Hypothalamus) haben viele Körperzellen eigene innere Uhren (zirkadiane Oszillatoren). Dazu zählen auch Hautzellen wie Keratinozyten (Zellen der äußeren Hautschicht), Fibroblasten (Bindegewebszellen) und Stammzellen des Haarfollikelwulstes. Das heißt, wichtige Wundheilmechanismen unterliegen zirkadianen Schwankungen, darunter:4,6,7

  • Proliferation (Vermehrung) der Keratinozyten
  • Proliferation und Migration (Wanderung) von Fibroblasten
  • Hautdurchblutung
  • Hauttemperatur
  • Transepidermaler Wasserverlust

Das Schlafhormon Melatonin

In der Nacht schüttet die Zirbeldrüse im Gehirn das Neurohormon Melatonin aus, das den zirkadianen Rhythmus stark beeinflusst. Die besonderen Eigenschaften von Melatonin können die Wundheilung verbessern, darunter:8

Heilen Wunden während des Schlafs besser?

Angesichts der beschriebenen Zusammenhänge zwischen Wundheilung und dem zirkadianen Rhythmus liegt die Frage auf der Hand, wann Wunden am besten heilen. Aktuelle Studien kommen zum folgenden Ergebnis:4,7,9

  • Die Wundheilung ist ein komplexer Prozess, an dem verschiedene Zelltypen beteiligt sind. Dazu gehören beispielsweise Fibroblasten (Bindegewebszellen). Sie vermehren sich (proliferieren) und wandern (migrieren) in Richtung Wunde, wo sie die Grundlage für die Keratinozyten (äußere Hautzellen) und die Narbenbildung liefern.
  • Versuche mit Hautbiopsien von Mäusen und mit Bindegewebszellkulturen zeigen, dass Fibroblasten einen ausgeprägten, zirkadianen Rhythmus bei der Synthese wichtiger zellulärer Eiweiße (Proteine) haben. So stellen sie das Protein Aktin vor allem tagsüber her (aktive Phase). Aktin ist verantwortlich für die Beweglichkeit der Fibroblasten.
  • In Tierexperimenten heilten Mäusehautbiopsien schneller, wenn sie tagsüber entnommen wurden. Denn während des Tages verstärken die Fibroblasten ihre Aktin-Herstellung und wandern schneller in Richtung Wunde.

Diese tierexperimentellen Ergebnisse wurden durch eine Auswertung einer Datenbank zu Verbrennungswunden bei Menschen bestätigt: Bei Verbrennungen, die sich nachts ereigneten (Ruhephase), dauerte es 11 Tage (60 %) länger, bis sie verheilten als bei Verbrennungen, die tagsüber (aktive Phase) auftraten. Das heißt, offenbar heilen Wunden tagsüber besser.4,7,9

Neben den Fibroblasten, verhalten sich auch die Keratinozyten nach einer „inneren Uhr“. Am frühen Morgen ist ihre Differenzierungsrate aus Vorläuferzellen am höchsten, während sie sich am Abend stärker vermehren.4,9,10

Diese ersten tierexperimentellen Ergebnisse müssen durch größere Studien mit Menschen überprüft werden. Sie könnten aber Hinweise für die klinische Praxis geben – beispielsweise für den besten Zeitpunkt für Operationen mit ihren „absichtlich“ zugefügten Wunden.9

Wie beeinflusst Schlafmangel die Wundheilung?

Wie der Schlaf hat umgekehrt der Stressfaktor Schlafmangel möglicherweise einen Einfluss auf die verschiedenen Phasen der Wundheilung, wie verschiedene Studiendaten andeuten:1,11,12

  • Schlafstörungen erhöhen die Konzentration von bestimmten Gerinnungsfaktoren.1
  • Bei Menschen mit einer verkürzten Schlafdauer stieg die Menge verschiedener Entzündungsbotenstoffe. Damit verzögert sich die Wundheilung, die nur einsetzen kann, wenn die Entzündungsprozesse abgeschlossen sind.1
  • Störungen des zirkadianen Rhythmus‘ verändern die Proliferations- und Ruhephasen von Fibroblasten, wodurch der Wundverschluss und die Granulationsphase beeinträchtigt werden können.1

Vor diesem Hintergrund beobachtete man die folgenden Zusammenhänge bei Menschen mit akuten beziehungsweise chronischen Wunden:

  • Eine verminderte Schlafqualität war bei Menschen nach einer Notfall-Laparotomie (Öffnung der Bauchhöhle) mit postoperativen Wundkomplikationen verbunden.11
  • Bei Menschen mit diabetischem Fußsyndrom wurde ein Zusammenhang zwischen einem häufig unterbrochenen Schlaf (Schlaf-Fragmentierung) und einer schlechteren Wundheilung beobachtet. Außerdem stand eine verkürzte Schlafdauer und eine schlechtere Schlafeffizienz mit einem Rezidiv des Geschwürs in Verbindung.12

Wie kann die Pflege einen besseren Schlaf von Patientinnen und Patienten unterstützen?

Die vorliegenden Erkenntnisse legen nahe, dass eine verbesserte Schlafgesundheit auch die Wundheilung günstig beeinflussen kann.1 Pflegefachpersonen können Patientinnen und Patienten mit Schlafstörungen dabei unterstützen, ihre Schlafsituation positiv zu verändern und damit zu einem gesünderen Schlaf beitragen. Im stationären Umfeld können dabei verschiedene, nicht-medikamentösen Maßnahmen helfen (Tab. 2).13

Tab. 2: Nicht-medikamentöse Maßnahmen für eine verbesserte Schlafgesundheit von Patientinnen und Patienten im Krankenhaus13

Art der MaßnahmeBeispiel
strukturelle Maßnahmen
  • Regulierung der Raumtemperatur
  • Abends das Licht dimmen
  • Geräusche im Flur reduzieren
  • Verlegung unruhiger Patientinnen und Patienten
organisatorische Maßnahmen
  • Kurze Gespräche mit den Patientinnen und Patienten am Abend
  • Mehr Zeit für Abendrundgänge
pflegerische Maßnahmen
  • Schlafanamnese durchführen
  • Atemstimulierende Einreibungen
  • Beruhigende Ganzkörperwaschungen
„Hausmittel“
  • Warme Getränke (Milch mit Honig, Tee) anbieten
  • Beruhigende Musik anbieten
  • Fernsehen ermöglichen

Außerdem können Pflegefachpersonen – auch in der ambulanten Versorgung – die Patientinnen und Patienten über schlaffördernde Maßnahmen aufklären, zum Beispiel:14,15

  • Für ein schlaffreundliches Schlafzimmer sorgen (kühle Temperatur, Ruhe, kein Licht von elektronischen Geräten).
  • Immer zur gleichen Zeit schlafen gehen und aufstehen, auch an den Wochenenden.
  • Soweit möglich, Störungen des Schlafrhythmus vermeiden (zum Beispiel Schichtarbeit).
  • Anregende Substanzen wie Koffein, Nikotin und Alkohol vor dem Schlafengehen vermeiden.
  • Für eine ausreichende Tageslichtexposition im Freien von 45 bis 60 Minuten täglich sorgen (am besten in Verbindung mit einem Spaziergang)
  • Einen Zeitabstand zwischen körperlicher Aktivität und dem Schlafengehen von mindestens 5 bis 6 Stunden einplanen.
  • „Nickerchen“ während des Tages vermeiden.
  • Regelmäßige Essenszeiten einhalten und auf späte Mahlzeiten verzichten.
  • Die Trinkmenge vor der Schlafenszeit reduzieren, um nächtliche Toilettengänge zu vermeiden.
  • Stressmanagement-Maßnahmen einüben, wie zum Beispiel beruhigende Musik hören, ein warmes Bad nehmen sowie Yoga oder Meditation.

Grundsätzlich gelten diese Empfehlungen gleichermaßen auch für ältere Erwachsene. Allerdings kann deren Umsetzung aufgrund der Alterungsprozesse im höheren Lebensalter wichtiger werden, um besser zu schlafen.15

Weitere Empfehlungen, wie Pflegefachpersonen zu einer besseren Schlafgesundheit beraten können, bietet die Videoserie „Schlaf schön! – Vom Wunsch zur Wirklichkeit“. 

Jetzt lernen

Ganzheitliche Wundversorgung: Den Menschen hinter der Wunde sehen

Die Schlafgesundheit ist nur ein Beispiel für vielfältige Faktoren, die die Wundheilung und das Wundmanagement beeinflussen. Daher ist es wichtig, in der Wundversorgung die Betroffenen ganzheitlich im Blick zu haben und über die Wunde hinaus relevante Einflüsse zu berücksichtigen. Dazu gehören zum Beispiel:16,17

Einzelheiten zum Einfluss des Lebensstils auf die Wundheilung fasst der Beitrag „Der Lebenswandel ist entscheidend für die Wundheilung“ zusammen. 

Literatur

Die Autorin Michelle Eisenberg
Michelle Eisenberg, examinierte Pflegekraft

Michelle Eisenberg ist examinierte Pflegekraft mit der Zusatzqualifikation Praxisanleitung in der Pflege.
Sie hat sowohl in der ambulanten als auch stationären Pflege Erfahrung gesammelt.
Seit einiger Zeit arbeitet Frau Eisenberg im Kundenservice von Dr. Ausbüttel im Bereich Beratung.