Schreien bei Schwerhörigkeit? – Es gibt bessere Alternativen

Schreien bei Schwerhörigkeit? – Es gibt bessere Alternativen

Etwa jeder siebte Mensch ist von einer Hörminderung betroffen. Bei den über 65-Jährigen ist es sogar jeder Zweite. Warum laut reden nur wenig hilft und welche Kommunikationsregeln Pflegekräfte beherzigen sollten.

Ob beim Treffen mit der Familie oder beim Abendessen im Pflegeheim: Der Geräuschpegel ist hoch und die vielen Stimmen lassen sich kaum zuordnen. Nebenher scheppert Geschirr und klappert Besteck. Das Zuhören ist anstrengend und macht müde. Viel leichter ist es, abzuschalten und in der eigenen Welt zu versinken. So oder so ähnlich geht es vielen älteren hörbeeinträchtigten Menschen. Sich nur noch eingeschränkt austauschen zu können, macht traurig und auf Dauer einsam. Wer schlecht hört, wird – gerade in der Gruppe – leicht übersehen.

Ein häufiges Problem mit schwerwiegenden Folgen

Eine Schwerhörigkeit ist im Alter sehr häufig. In Deutschland ist etwa jeder siebte Erwachsene betroffen, ab dem 65. Lebensjahr ist es ungefähr jeder Zweite. (1) Bei einer Altersschwerhörigkeit verlieren die Sinneshaare in der Hörschnecke (Innenohr) ihre Funktion. Somit findet nur noch eine ungenügende Schallübertragung statt – das beginnt bei den hohen Frequenzen und schreitet dann kontinuierlich voran. Meist können die Betroffenen einem Einzelgespräch zunächst noch gut folgen. In größeren Gesellschaften oder bei Hintergrundgeräuschen, z. B. in einem Restaurant fällt ihnen das Verstehen jedoch schwer (sog. Cocktail-Party-Effekt). (2) 

Wie schnell eine Schwerhörigkeit im Alter voranschreitet und wie ausgeprägt sie ist, ist individuell unterschiedlich (vgl. Abb. 1). Wird eine Altersschwerhörigkeit nicht behandelt, kann dies schwerwiegende Folgen haben. Viele Betroffene ziehen sich zurück, die Lebensfreude ist stark beeinträchtigt. Das Zuhören ist anstrengend und kann müde und gereizt machen. Schwerhörige Menschen können unsicher im Alltag sein, z. B. könnten Warnzeichen im Straßenverkehr und wichtige Alarme und Warnzeichen überhört werden. Auch für das Umfeld kann ein Hörverlust belastend sein. Die Kommunikation ist zeitaufwendiger und es kommt leicht zu Missverständnissen. (2) Darüber hinaus kann eine unbehandelte Altersschwerhörigkeit zu einem vorzeitigen geistigen Abbau bis hin zur Demenz führen. Wichtig ist daher eine frühzeitige Diagnose und Behandlung beim HNO-Arzt. (3) 

infografik zu den verschiedenen graden von schwerhörigkeit
Abb.1: Verschiedene Grade von Schwerhörigkeit (4)
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Behandlung der Schwerhörigkeit – viele warten zu lange

Eine Altersschwerhörigkeit lässt sich gut behandeln. Die Therapie lohnt sich, denn gut zu hören heißt aktiv am Sozialleben teilnehmen zu können, unabhängig zu sein und gesünder zu altern. Trotzdem lassen viele Menschen ihre Schwerhörigkeit nicht (oder zu spät) behandeln. Das ist bedauerlich. Denn wenn eine Hörbeeinträchtigung früh festgestellt und behandelt wird, spielt das eine wichtige Rolle für die Lebensqualität. Zudem können kognitive Einbußen vermieden oder verzögert werden. 

Nur etwa 20 % der Betroffenen, die von einer Hörhilfe profitieren würden, haben tatsächlich eine. Und von diesen tragen 25 bis 40 % sie zu wenig oder gar nicht. (2) Dies könnte damit zusammenhängen, dass eine Schwerhörigkeit vielen Menschen unangenehm ist. Zuzugeben, dass sich das Hören massiv verschlechtert hat und das gegenüber anderen einzugestehen, ist für Betroffene oft schwierig. 

Nicht selten schleicht sich eine Schwerhörigkeit auch unbemerkt ein, sodass die Betroffenen und Angehörigen diese zunächst nicht bewusst mitbekommen und damit eine Abklärung hinausgezögert wird. Dass ein vorhandenes Hörgerät so selten getragen wird, könnte damit zusammenhängen, dass viele die Eingewöhnung nicht abwarten und vorschnell enttäuscht sind. Denn auch mit einem Hörgerät hört sich nicht alles einfach so an „wie früher“. Hier sind Zeit und Geduld erforderlich, bis sich das Verstehen deutlich verbessert. 

Hörgeräte und Cochlea-Implantate

Ein Hörgerät ist die Therapie der Wahl bei einer Altersschwerhörigkeit. Manchmal lässt sich eine Schwerhörigkeit zwar ursächlich behandeln, z. B. als Folge einer Mittelohrentzündung; bei älteren Menschen bleibt eine Schwerhörigkeit aber meist dauerhaft bestehen. (4) Die Auswahl eines Hörgeräts ist nicht einfach – auf dem Markt gibt es eine Vielzahl an Geräten. Grundsätzlich kann man zwischen Im-Ohr-Geräten (IdO) und Hinter-dem-Ohr-Geräten (HdO) unterscheiden. Die IdO können sich im Ohr, im Gehörgang oder komplett im Gehörgang befinden. Letztere sind von außen quasi unsichtbar. Zudem gibt es analoge und digitale Hörgeräte. Die meisten neuen Hörgeräte sind heute digital. Sie wandeln den Schall in elektronische Informationen um. Dabei werden nur wesentliche Signale verstärkt und weitergeleitet, laute Umgebungsgeräusche werden reduziert. (5)

Wichtig zu wissen: Der Eingewöhnungsprozess dauert oft mehrere Monate. Das liegt daran, dass das Gehirn erst wieder lernen muss, akustische Reize aufzunehmen und zu verarbeiten. Experten empfehlen, für eine erfolgreiche Anpassung das Hörgerät in den ersten Monaten den ganzen Tag in unterschiedlichen Situationen zu tragen. 

Wenn ein Hörgerät nichts mehr nützt, kann ein „Cochlea-Implantat“ helfen. Es eignet sich für Menschen, bei denen herkömmliche Hörgeräte zu wenig Nutzen bringen, der Hörnerv selber aber intakt ist. Cochlea-Implantate umgehen die beschädigten Bereiche des Ohrs und stimulieren den Hörnerv direkt. (6)

Hörgerät über dem Ohr einer Seniorin
Abb.2: Darstellung Hinter-dem-Ohr-Hörsystem (HdO)

Umgang mit Hörgeräten und Cochlea-Implantaten

Cochlea Implantat
Abb.3: Darstellung Cochlea Implantat

Oft kommen Menschen mit einem Hörgerät oder einem Cochlea-Implantat ins Krankenhaus oder Pflegeheim. Daher ist es wichtig, dass sich Pflegekräfte mit der grundlegenden Handhabung auskennen und gezielt bei den Betroffenen bzw. Angehörigen nachfragen, was im Umgang mit diesem Gerät zu beachten ist.

Beim Baden und Duschen, bei der Wassertherapie oder bei speziellen medizinischen Untersuchungen (MRT, CT etc.) sollten Hörgeräte in der Regel z. B. nicht getragen werden. Bei liegenden Bewohnern im Pflegeheim sollte überprüft werden, ob das Hörgerät eingeschaltet ist und funktioniert. Sinnvoll ist es bei hörbehinderten Menschen auch, ein Zeichen zu vereinbaren, mit dem die Pflegekraft auf sich aufmerksam machen kann, z. B. Betätigung des Lichtschalters oder leichte Berührung. Denn oft erschrecken sie, wenn sie plötzlich angesprochen oder berührt werden. (6)

Hörtrainings und weitere Hilfen

Auch wenn ein Hörgerät das Sprachverständnis verbessert, bringt es dieses nicht in jedem Fall zu 100 % zurück. Experten empfehlen, zusätzlich zum Hörgerät ein Hörtraining zu absolvieren. In diesem lernen Betroffene, ihr Restgehör zu trainieren und von den Lippen abzulesen. Über ein solches Training kann die Sprachverarbeitung im Gehirn intensiviert werden, wie Studien zeigen. (6) Auch vermitteln Hörtrainings geeignete Hörtaktiken, die helfen, die Kommunikation mit dem Umfeld zu verbessern.

Darüber hinaus können technische Hilfsmittel schwerhörigen Menschen den Alltag erleichtern, z. B. Lichtsignalanlagen für die Türklingel oder Vibrationswecker. TV-Untertitel machen das Fernsehen für Schwerhörige leichter und können für fast alle Fernsehsender über den Teletext eingeblendet werden.

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Kommunikationsregeln: 7 Tipps für Pflegekräfte

  1. Sprechen Sie mit hörbeeinträchtigten Menschen deutlich, nicht zu schnell, in normaler Lautstärke und in gleichmäßigem Tempo. Formulieren Sie Aussagen, Fragen und Antworten dabei in kurzen, einfachen Sätzen. Sprechen Sie nur dann seitlich ins Ohr, wenn die Person auf einem Ohr deutlich besser hört und sie das wünscht.
  2. Achten Sie darauf, dass Ihr Gegenüber Ihr Gesicht gut von vorne sehen kann. So ermöglichen Sie ihm, gleichzeitig von den Lippen abzulesen. Auch sollten Sie sicherstellen, dass Ihr Gesicht gut beleuchtet ist.  
  3. Vergewissern Sie sich, dass der hörbeeinträchtigte Mensch alles richtig verstanden hat. Dies ist besonders wichtig, wenn es um medizinische Maßnahmen und Abmachungen geht, zum Beispiel bei der Medikamentengabe. Fragen Sie nicht einfach: „Haben Sie alles verstanden?“, sondern stellen Sie eine Verständnisfrage. So können Sie erkennen, ob die Person Sie wirklich verstanden hat. 
  4. Bei Verständigungsproblemen sollten Sie Ihre Aussage/Frage mit anderen Worten umschreiben. Zusätzlich sollten Sie wichtige Informationen für die hörbeeinträchtigte Person aufschreiben.
  5. Führen Sie Gespräche in einem ruhigen Raum, schalten Sie Neben- und Hintergrundgeräusche möglichst aus. 
  6. In einer Gruppe oder bei gemeinsamen Aktionen sollten Sie immer versuchen, die hörbeeinträchtigte Person ins Gespräch einzubeziehen. Teilen Sie ihr dazu mit, worum es gerade geht, eventuell mit kurzen schriftlichen Hinweisen. 
  7. Beachten Sie, dass ein Gespräch von Hörbeeinträchtigten volle Konzentration erfordert und sie deshalb auch rascher ermüden. Bei längeren Gesprächen sollten Sie daher ab und zu eine Pause einlegen.(2), (6)

Schwerhörigkeit und Demenz

Eine Schwerhörigkeit kann an der Entstehung von Demenz mitbeteiligt sein. Forscher haben festgestellt, dass ein moderater Hörverlust die Wahrscheinlichkeit, dass eine Demenz auftritt, um den Faktor 1,4 erhöht. Bei einem schweren Hörverlust war das Risiko um den Faktor 1,6 erhöht. Auch zeigte sich, dass der Ausbruch von Demenz verzögert werden kann, wenn der Hörverlust mit einem Hörgerät korrigiert wird. (7) 

Daher ist es sinnvoll, auch in Pflegeeinrichtungen frühzeitig darauf zu achten, ob eine Untersuchung bei einem HNO-Arzt und ein Hörgerät notwendig sind. Inwieweit dieses von Menschen mit kognitiven Einschränkungen akzeptiert wird, ist unterschiedlich und hängt auch von Art und Schwere der Demenz ab. Zudem ist darauf zu achten, dass die Nutzung des Hörgeräts (Einsetzen, Reinigen, Entfernen beim Baden und Duschen, Batteriewechsel etc.) von den Pflegekräften begleitet und überwacht wird.

Auch ist von Fall zu Fall abzuwägen, ob ein begleitendes Hörtraining sinnvoll ist. Dennoch sollten auch bei Demenz alle möglichen Hilfen ausgeschöpft werden. Das Ziel ist, die Lebensqualität der Betroffenen zu erhöhen und einen zusätzlichen kognitiven Abbau, bedingt durch den Hörverlust, zu vermeiden. Auch im Kontakt mit hörbeeinträchtigten Menschen mit Demenz sollten die genannten Kommunikationsregeln in jedem Fall berücksichtigt werden. (6)

Wundversorgung bei Demenzpatientin

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Literatur

Die Autorin Michelle Eisenberg
Michelle Eisenberg, examinierte Pflegekraft

Michelle Eisenberg ist examinierte Pflegekraft mit der Zusatzqualifikation Praxisanleitung in der Pflege.
Sie hat sowohl in der ambulanten als auch stationären Pflege Erfahrung gesammelt.
Seit einiger Zeit arbeitet Frau Eisenberg im Kundenservice von Dr. Ausbüttel im Bereich Beratung.