Basale Stimulation – mit allen Sinnen pflegen

Basale Stimulation – mit allen Sinnen pflegen

Die Basale Stimulation hat sich in Deutschland seit mehr als 30 Jahren erfolgreich etabliert. Was zeichnet das Pflegekonzept aus? Wie profitieren pflegebedürftige Menschen und auch Pflegekräfte? Ein Überblick.

Die Basale Stimulation ist ein Konzept der ganzheitlichen, körperbezogenen Kommunikation für schwersterkrankte und -beeinträchtigte Menschen. Das Ziel ist, diese Menschen so zu fördern, dass sie sich selbst und ihre Umgebung besser wahrnehmen können. Das ermöglicht es ihnen am Leben teilzuhaben. Dabei entwickeln Pflegekräfte sensorische Angebote zur Orientierung und Anregung, mit denen die wahrnehmungseingeschränkten Personen ihren Körper und ihre Umwelt neu erfahren können.

Woher stammt das Konzept der Basalen Stimulation?

Die Basale Stimulation ist ursprünglich ein pädagogisches Konzept. Es wurde um 1975 von dem Sonderpädagogen Andreas Fröhlich, in der Versorgung von schwerst behinderten Kindern entwickelt. Erst Mitte der 80er-Jahre übertrug Christel Bienstein – heute eine der bekanntesten Pflegewissenschaftlerinnen in Deutschland – dieses Konzept auf die Pflege. Damals besuchte sie mit ihrem Bruder ein Heim für schwerstbehinderte Kinder: Sie beobachtete, wie ihr Bruder, von Beruf Heilpädagoge, einem etwa 7-jährigen Jungen Sahne in den Mund gab und um den Mund herum verteilte. Das Kind, das nicht sehen und sich kaum bewegen konnte, begann zu schmatzen und die Sahne abzuschlecken. Danach gab der Heilpädagoge dem Jungen etwas Sahne auf die Hand. Daraufhin hob das Kind die Hand und begann an der Sahne zu lecken. Der Heilpädagoge erklärte: „Auch schwerst mehrfachbehinderte Kinder sind in der Lage, Sinneserfahrungen zu machen. Wir müssen ihnen nur helfen, die Welt und sich selbst kennenzulernen.“ Christel Bienstein war fasziniert. Gedanklich zog sie sofort Parallelen zur Pflege und dachte: Dieses Konzept könnte auch bei uns klappen.

Das war der Auftakt der Basalen Stimulation in der Pflege. Gemeinsam mit dem Begründer Andreas Fröhlich hat Christel Bienstein in den Jahren darauf das Konzept auf die Pflege wahrnehmungsbeeinträchtigter Menschen übertragen. 1991 wurde ihr Buch zur Basalen Stimulation in der Pflege erstmalig veröffentlicht, mittlerweile ist es in der 9. Auflage erschienen. Es folgten zahlreiche Vorträge und Seminare, die das neue Konzept unter Pflegekräften bekannt machten. Das Interesse war enorm. Christel Bienstein sagte später dazu: „Das trifft irgendwie die Seele der Pflegenden. Es gibt ihnen etwas an die Hand, um die Pflege auch fachlich anders gestalten zu können und dem Patienten damit etwas Gutes zu tun.“ Um der hohen Nachfrage der Pflegekräfte nachzukommen, wurde 1992/1993 die Weiterbildung Basale Stimulation ins Leben gerufen.

Was bedeutet Basale Stimulation?

Die Basale Stimulation ist ein Konzept der ganzheitlichen, körperbezogenen Kommunikation für schwersterkrankte und -beeinträchtigte Menschen. Das Ziel ist, diese Menschen so zu fördern, dass sie sich selbst und ihre Umgebung besser wahrnehmen können. Das ermöglicht es ihnen am Leben teilzuhaben. Dabei entwickeln Pflegekräfte sensorische Angebote zur Orientierung und Anregung, mit denen die wahrnehmungseingeschränkten Personen ihren Körper und ihre Umwelt neu erfahren können. Das erfolgt über Berührungen, aber auch durch besondere Materialien, Gerüche oder Klänge. Die Basale Stimulation beruht dabei auf der Annahme, dass jeder Mensch wahrnimmt, erlebt und sich entwickelt.

Bei der Anwendung der Basalen Stimulation beobachtet die Pflegekraft die zu pflegende Person genau. Sie achtet auf ihre Mimik, Gestik und Körperspannung, um zu erspüren, was ihr gefällt und was eher nicht. Dabei nimmt sie nonverbale Signale feinfühlig wahr und beantwortet diese. Zuckt die Person zum Beispiel mit dem Arm, reagiert sie mit einer deutlichen Berührung in diesem Bereich. Zeigt die Person während einer Positionierung eine Schmerzmimik, hält die Pflegekraft inne und führt dann eine andere Bewegung durch. Die wahrnehmungsbeeinträchtigte Person erfährt dadurch, dass sie wahrgenommen wird, selbstwirksam sein und vertrauen kann. Die Basale Stimulation wird als ganzheitlich-körperliche Kommunikation verstanden, die Patient und Pflegekraft gemeinsam gestalten. 

Sinnvolle Einsatzbereiche

Die Basale Stimulation hat sich sehr gut auf Intensivstationen, in der Pflege von Frühgeborenen und in der Hospizarbeit etabliert, aber auch in der Onkologie, der Neurologie, der Altenpflege und bei Menschen mit Demenz. Sie eignet sich vor allem dann, wenn die Eigenaktivität und Fähigkeit zur Wahrnehmung und Kommunikation beeinträchtigt sind. Das kann zum Beispiel bei Menschen sein, die

  • mehrfachbehindert oder schwerstverletzt sind,
  • sich im Koma oder Wachkoma befinden,
  • desorientiert sind oder eine Demenz haben, 
  • Lähmungen haben, z. B. eine Hemi- oder Tetraplegie,
  • im Sterben liegen.

Menschen, die sich selbst bewegen können, kognitiv orientiert sind und sich im Grunde selbst stimulieren können, benötigen keine basal-stimulierenden Maßnahmen. 

Die 10 zentralen Lebensthemen 

Die zentralen Lebensthemen der Basalen Stimulation beschreiben Themen, die aus Sicht der wahrnehmungseingeschränkten Menschen wichtig sein können. Dazu ist ein Perspektivwechsel erforderlich: Die Pflegekraft versetzt sich in die Situation des Patienten und entwickelt – zusammen mit ihm sowie durch genaues Beobachten – geeignete Angebote, die seine Lebensthemen fördern. Der Patient bleibt damit der Akteur seiner eigenen Entwicklung und die Pflegekraft unterstützt ihn dabei.

Die zentralen Lebensthemen der Basalen Stimulation sind:

  • Leben erhalten und Entwicklung erfahren
  • Das eigene Leben spüren
  • Sicherheit erleben und Vertrauen aufbauen
  • Den eigenen Rhythmus entwickeln
  • Das Leben selbst gestalten
  • Die Außenwelt erfahren
  • Beziehungen aufnehmen und Begegnungen gestalten
  • Sinn und Bedeutung geben und erfahren
  • Selbstbestimmung und Verantwortung leben
  • Die Welt entdecken und sich entwickeln

Diese zentralen Lebensthemen bieten Anregung, wie sich Pflegekräfte am Erleben der Patienten orientieren können. Dabei können ein oder auch mehrere Themen bedeutsam sein. Es geht nicht darum, der wahrnehmungseingeschränkten Person möglichst viele sinnliche Reize zu bieten, sondern passende Angebote zu machen, die ihre individuelle Entwicklung fördern. Über die Akzeptanz eines Angebots entscheidet der Patient. Wenn er auf das Angebot mit Aufmerksamkeit, Aktivität und Entwicklung reagiert, hat die Pflegekraft das richtige Vorgehen gewählt.

Durch ein Angebot können auch unterschiedliche Lebensthemen adressiert werden. Bei einer Ganzkörperwaschung wird die Person durch modellierende Berührungen angeregt, um so „das eigene Leben zu spüren“. Gezielte Nachfragen zur Ganzkörperwaschung ermöglichen ihr wiederum, eigene Entscheidungen zu treffen. Damit wird das Lebensthema „Selbstbestimmung und Verantwortung leben“ unterstützt.

Wichtig: Die Basale Stimulation setzt immer an den Fähigkeiten des Menschen an, nicht an seinen Defiziten.

Basal stimulierende Pflegemaßnahmen

Basal stimulierende Maßnahmen können in jede Pflegehandlung integriert werden, ob in die Körperpflege oder beim Anreichen von Nahrung. Dabei sollten Pflegekräfte immer sehr behutsam vorgehen und ihr Gegenüber nicht überfordern. Vielmehr sollten Neugier und Aufmerksamkeit geweckt werden. Dabei gilt das Prinzip: Weniger ist mehr. Eine Überstimulation ist in jedem Fall zu vermeiden.

Grundsätzlich gilt es, die Betroffenen mit allen Sinnen zu pflegen. Basal stimulierende Angebote beziehen sich daher auf die Grundelemente – somatische, vibratorische und vestibuläre Wahrnehmung –, die allesamt Ruhe, Sicherheit und Geborgenheit vermitteln. Die Aufbauelemente – orale, olfaktorische, taktil-haptische, auditive und visuelle Wahrnehmung – sprechen vor allem die Sinne Geschmack, Geruch, Berührung, Hören und Sehen an.

Grundelemente

Somatische Angebote: Basal stimulierende Angebote im Bereich der somatischen Wahrnehmung umfassen z. B. Berührungen, Waschungen und Positionierungen. Intensiviert wird die Stimulation, wenn Pflegekräfte Materialien wie Frotteehandtücher oder raue Waschlappen einsetzen, die das Empfinden für den eigenen Körper stärker hervorheben. Die Berührung von Haut zu Haut verstärkt hingegen den zwischenmenschlichen Kontakt. Bekannt ist die Initialberührung – ein ritualisiertes Begrüßungs- und Verabschiedungsritual. Sie beginnt in der Regel mit einer Ansprache, der eine Berührung – möglichst immer an der gleichen Stelle, z. B. dem Oberarm – folgt. 

Vibratorische Angebote: Bei der vibratorischen Stimulation geht es darum, den Betroffenen ein Erspüren der Körpertiefe und Körperfülle zu ermöglichen. Beispielsweise können Pflegekräfte ihre Hände am Körper des Betroffenen vibrieren lassen. Alternativ können sie vibrierende Geräte verwenden. Dabei sollten sie aber gut im Blick haben, ob der Betroffene das Angebot als angenehm erlebt oder die Geräusche stören. 

Vestibuläre Angebote: Die vestibuläre Stimulation spricht den Gleichgewichtssinn von wahrnehmungsbeeinträchtigen Menschen an. Mit verschiedenen Maßnahmen können das Gleichgewicht, die Orientierung im Raum und die Wahrnehmung von Beweglichkeit stimuliert werden. Das können zum Beispiel sanfte Schaukelbewegungen oder ein beruhigendes Wiegen sein, bei dem sich die Pflegekraft neben eine Person setzt und diese leicht hin- und herwiegt. Auch regelmäßige Positionswechsel vermitteln vestibuläre Informationen. 

Aufbauelemente

Orale Angebote: Bei künstlicher Ernährung kann es leicht zu einer sensorischen Verarmung des Mundraums kommen. Daher kann die Mundpflege so angepasst werden, dass damit positive Gefühle verbunden werden. Dazu können die Lippen des Patienten beispielsweise mit einer wohlschmeckenden Flüssigkeit bestrichen oder es kann ihm mit gekühlten Saftstäbchen über die Zunge gestrichen werden.

Olfaktorische Angebote: Auch bei schwer wahrnehmungsbeeinträchtigten Patienten ist die Geruchswahrnehmung in vielen Fällen erhalten. Gerade Heimatgerüche – also vertraute Gerüche – können Heimatgefühle und Wohlbefinden auslösen, z. B. der Geruch des eigenen Kopfkissens bei einer Komapatientin oder das Halstuch der Mutter bei einem Frühgeborenen. Nahrungsgerüche sind besonders wichtig für Menschen, die künstlich ernährt werden. So kann eine Sondenkostgabe zum Beispiel von einer olfaktorischen Anregung begleitet werden, mit appetitlichen Düften wie Zimt oder Thymian. 

Taktil-haptische Angebote: Menschen „begreifen“ ihre Umwelt tastend mit den Händen. Dazu können dem Patienten Gegenstände wie eine Zahnbürste, eine Tasse oder eine Wärmflasche in die Hand gegeben werden. Geeignet sind auch Naturobjekte wie Schwämme oder Steine. Die Pflegekraft legt diese dem Patienten in die Hand und vermittelt ihm damit Tasteindrücke. Angehörige können dazu auch vertraute Materialien zusammenstellen. 

Auditive Angebote: Viele Patienten, die nicht ansprechbar sind, reagieren auf vertraute Geräusche, z. B. Musik, eine Spieluhr oder ein Tonträger, der von einer vertrauten Person besprochen ist. Angehörige können zudem die Lieblingsmusik des Patienten mitbringen oder ihm eine Geschichte vorlesen. Vom Anbringen von Kopfhörern, die der Patient nicht selbst entfernen kann, wird hingegen abgeraten, um eine „Zwangsanregung“ zu vermeiden. Wichtig sind wechselnde und klare, eindeutige Angebote – eine zu große Fülle von Stimmen, Geräuschen und Klängen ist ungünstig.

Visuelle Angebote: Wer lange im Bett liegt, hat oft nur den monotonen, eintönigen Blick an die Decke oder gegenüberliegende Wand. Pflegekräfte sollten daher die Perspektive des Patienten prüfen und überlegen, welche visuell anregenden Objekte sie in sein Blickfeld rücken können. Zu empfehlen sind klare, kontrastreiche Motive. Ein optisches Chaos ist dringend zu vermeiden.

Qualifikation zur Basalen Stimulation

Wichtig ist, dass Pflegekräfte in der Anwendung der Basalen Stimulation gut geschult sind. Es gibt Basis- und Aufbaukurse, sowie eine Weiterbildung zum Praxisbegleiter Basale Stimulation. Ein Basiskurs dauert in der Regel 3 Tage und eignet sich für Pflegekräfte, die das Konzept näher kennenlernen möchten. Der Aufbaukurs schließt daran an und vermittelt über 3 Tage praxisnah, wie Wahrnehmungsangebote gezielt eingesetzt werden können und damit die Lebensqualität der wahrnehmungseingeschränkten Menschen verbessert wird.

Darüber hinaus gibt es Angebote zum Praxisbegleiter Basale Stimulation. Diese berufsbegleitende Weiterbildung dauert ein Jahr und umfasst 540 Stunden, von denen 180 Stunden Präsenzunterricht und 360 Stunden Selbststudium sind. Hinzu kommen Praxisaufträge, Hospitationen, Arbeitsgruppen und das Erstellen von Facharbeiten. Wer diese Fachweiterbildung erfolgreich abschließt, erwirbt die Lizenz, die Basale Stimulation im Rahmen von Workshops, Themenkursen, Basis- und Aufbaukursen zu unterrichten, sowie andere Pflegende in der Praxis zu begleiten.  

Um die Basale Stimulation in einer Einrichtung umzusetzen, benötigt es erfahrene Personen. Nach einem Basiskurs fühlen sich die meisten noch unsicher und brauchen die Begleitung von jemandem, der mit dem Konzept vertraut ist. Daher ist es sinnvoll, dass einige Pflegekräfte im Team einen Aufbaukurs oder die Weiterbildung absolvieren. So können sich Pflegekräfte vor Ort zeigen lassen, welche basal-stimulierenden Maßnahmen in welchen Situationen sinnvoll sind. 

Wie Pflegekräfte profitieren

Pflegekräfte, die mit der Basalen Stimulation arbeiten, äußern mehr Zufriedenheit in ihrer Arbeit. Denn sie genießen es, mal mit einem Patienten ganz in Ruhe arbeiten zu können. Dabei werden Pflegekräfte ruhiger, fühlen sich geerdet und sind in Gedanken nicht schon wieder beim nächsten Patienten. Christel Bienstein sagte dazu: „Basale Stimulation ist auch ein Ausdruck von Achtsamkeit: Sie sind jetzt in diesem Moment bei diesem Patienten und führen eine Anleitung oder Wahrnehmungsförderung ganz bewusst aus. Und sie erleben natürlich, dass das bei den Patienten sehr gut ankommt. Und das tut ihnen auch gut.“.

Trotz Zeitmangel schaffen es Pflegekräfte, die mit dem Konzept vertraut sind, die Basale Stimulation umzusetzen, weiß Bienstein aus Rückmeldungen von Pflegekräften. Die Pflege dauere dann auch nicht länger. „Viele berichten, dass es ihnen auch selbst guttut, weil sie viel mehr zur Ruhe kommen, wenn sie mit der Basalen Stimulation arbeiten“, so die Pflegewissenschaftlerin.

Literatur

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Die Autorin Michelle Eisenberg
Michelle Eisenberg, examinierte Pflegekraft

Michelle Eisenberg ist examinierte Pflegekraft mit der Zusatzqualifikation Praxisanleitung in der Pflege.
Sie hat sowohl in der ambulanten als auch stationären Pflege Erfahrung gesammelt.
Seit einiger Zeit arbeitet Frau Eisenberg im Kundenservice von Dr. Ausbüttel im Bereich Beratung.