Retaxierung, Retaxation in der Apotheke

Retaxierung, Retaxation in der Apotheke

Von „Retaxation“, „Retaxierung“ oder „Retax“ spricht man, wenn die Krankenkasse die Erstattung eines Arzneimittels verweigert, das die Apotheke bereits an den Patienten abgegeben hat. Sie bezieht sich per Definition auf die Abgabe ärztlich verordneter Medikamente oder Hilfsmittel an Versicherte gesetzlicher Krankenkassen.

Apotheken erhalten ihre Vergütung im Regelfall über Rechenzentren, die wiederum mit Krankenkassen abrechnen. Mitarbeitende der Krankenkasse überprüfen im Nachgang die Verordnungen. 

Eine Retaxierung kommt nach der gesetzlichen Definition dann in Betracht, wenn sich nachträglich herausstellt, dass    

  • keine ordnungsgemäße ärztliche Verordnung vorliegt,
  • ein Arzneimittel nicht im Leistungskatalog der GKV erfasst ist,
  • ein Arzneimittel unter Verstoß gegen die Bestimmungen des Arzneimittelliefervertrags (ALV) abgegeben worden ist oder
  • es sich um eine Rezeptfälschung handelt, die die Apotheke hätte erkennen müssen,
  • das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 129 Sozialgesetzbuch (SGB) V verletzt ist oder
  • ein Rabattvertrag nicht beachtet wurde.

Häufige Gründe für Retaxierungen sind Missachtungen von Rabattverträgen, fehlende Arztunterschriften oder Gültigkeitsüberschreitungen.

Welche gesetzlichen Grundlagen hat die Retaxierung? 

Das V. Sozialgesetzbuch (SGB V), § 12, definiert ein sogenanntes Wirtschaftlichkeitsgebot für gesetzliche Krankenkassen: „Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten“ Und weiter: „Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen.“ Geschieht dies doch, kommt es zum Retax der Leistung für die Apotheke. Dass der Fehler womöglich bei der Ärztin oder beim Arzt zu suchen ist, spielt keine Rolle. 

Wie lange dürfen Krankenkassen Apotheken retaxieren?

§ 13 des Arzneiversorgungsvertrags der Ersatzkassen definiert Fristen für Retaxe. Darin heißt es: „Die bei der Rechnungsprüfung festgestellten rechnerisch und sachlich unrichtig angesetzten Beträge werden von den Ersatzkassen innerhalb von zwölf Monaten nach Ende des Kalendermonats berichtigt, in dem die Lieferung erfolgte.“ Hören Apotheken innerhalb dieser Frist nichts von Krankenkassen, ist keine Retaxation mehr möglich. 

Warum werden Kassenrezepte retaxiert?

Häufige Gründe für Retaxierungen sind Formfehler bei der Ausstellung der ärztlichen Verordnung, etwa fehlende Patientenangaben, fehlende Arztunterschriften oder Praxisangaben, eine Überschreitung der Gültigkeit oder (mit Ausnahmen) fehlende Angaben zur Dosierung. Alle erforderlichen formalen Details sind in § 2 der Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) nachzulesen. 

Speziell bei Arzneimitteln führen Missachtungen der Rabattverträge, falsch abgegebene Normgrößen (N-Größen) oder fehlende Sonder-PZN bei pharmazeutischen Bedenken oder bei Nichtverfügbarkeit und Austausch zum Retax. Verordnungen über Rezepturen werden häufig von der Krankenkasse retaxtiert, wenn es zu einer falschen Berechnung, oder einem fehlerhaften Hashcode (40-stellige Ziffernfolge, die das Papierrezept mit elektronisch übermittelten Abrechnungsdaten verlinkt) gekommen ist. 

Fehlerhafte Angaben bei den Zuzahlungsbefreiungen der Versicherten können auch eine Retaxierung nach sich ziehen. Bei Botenlieferungen durch die Apotheke sollte darauf geachtet werden, dass der Botendienst nicht auf einem Rezept abgerechnet wird, welches ausschließlich eine Verordnung über Medizinprodukte, OTC-Arzneimittel oder Hilfsmittel ist, da dies ansonsten auch zu einer Retaxierung führt. Auf Hilfsmittel-Rezepten sollte darauf geachtet werden, dass der Kunde die Empfangsbestätigung ausgefüllt hat, da die Krankenkasse ansonsten auch einen Grund für eine Retaxierung sieht. Genauso reagieren Krankenkassen, falls bei Hilfsmitteln die Empfangsbestätigung der Kundin oder des Kunden fehlt. 

Spezialfall: OTCs auf Kassenrezept

Ein Sonderfall – und ebenfalls ein möglicher Grund für Retaxe – ist die fehlerhafte Verordnung von OTC-Arzneimitteln auf Kassenrezepten. Nicht rezeptpflichtige Arzneimittel können für Kinder bis zwölf Jahre oder für Jugendliche mit Entwicklungsstörungen bis 18 Jahre zu Lasten gesetzlicher Krankenkassen abgegeben werden, siehe Anlage III der Arzneimittelrichtlinie. Solche Ausnahmen gibt es ebenfalls für Erwachsene, wie in Anlage I der Arzneimittel-Richtlinie zu lesen ist. In den Dokumenten legt der gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) jedoch auch Verordnungseinschränkungen und -ausschlüsse für nicht wirtschaftliche Präparate fest. Hier drohen der Apotheke Retaxationen, sollten Arztpraxen solche Präparate dennoch auf einem Kassenrezept verordnen. 

Spezialfall: Verbandsstoffe auf Kassenrezept

Auch bei Verbandsstoffen sind Retaxierungen möglich. Derzeit gibt es keine Rabattverträge bei Verbandsstoffen. Somit besteht keine Austauschverpflichtung. Tauschen Apotheken das Produkt aus, drohen Retaxierungen. Gleiches gilt, wenn Arztpraxen Importe verordnen. Gibt die Apotheke dann Originalprodukte ab, kann es ebenfalls zu Retaxationen kommen.

Wenn die Apotheke ein anderes Verbandsmittel als verschrieben abgeben will, bestehen zwei Möglichkeiten. Wenn das alternative Produkt günstiger ist als das verschriebene, besteht nur eine sehr geringe Retax-Gefahr. 

Sobald die Alternative jedoch teurer ist, ist ein Retax wahrscheinlich. In diesem Fall ist die Abgabe von lieferfähigen Alternativen nur dann sicher vor Retax, wenn das Rezept durch den ausstellenden Arzt entsprechend angepasst wird. Hier bietet es sich an, im Vorfeld nach Alternativen zu recherchieren. So kann der Austausch mit der Arztpraxis schneller und unkomplizierter verlaufen.

Bleibt als Problem: In Warenwirtschaftssystemen fehlen bei Verbandsstoffen meist automatische Verknüpfungen zwischen Originalen, Importen oder Wettbewerbsprodukten. PTA, PKA beziehungsweise Apotheker und Apothekerinnen müssen manuell Alternativen finden. 

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Wie häufig kommen Retaxationen vor? 

Offizielle Statistiken zu bundesweiten Retaxierungen gibt es nicht. Stichproben zeigen aber das Ausmaß von Retaxen – und den Umfang des drohenden wirtschaftlichen Schadens. Wie der Landesapothekerverband Baden-Württemberg (LAV-BV) für den Kammerbezirk berichtet, hat die Abteilung Taxation im Jahr 2022 insgesamt 8.638 (Vorjahr: 14.362) Rezepte nach einem Retax angesehen. Die Dunkelziffer mag höher sein, da Bagatellfälle womöglich nicht beim LAV-BV gelandet sind. Das Volumen lag bei 1.422.700 Euro (Vorjahr: 1.528.580 Euro). Auch im Verbandmittelbereich wird retaxiert: zu teure Verbandmittelverschreibungen machen ca. 1% des gesamten Retaxierungsvolumens aus.

Was können Apotheken bei einem Retax unternehmen?

Im Falle einer Retaxation hat die Apotheke das Recht, Einspruch gegen die Retaxierung einzulegen und der Krankenkasse zu beweisen, warum es sich nicht um eine fehlerhafte Lieferung gehandelt hat. Dies hat laut § 13 des Arzneiversorgungsvertrags „innerhalb von drei Monaten nach Eingang beim Apotheker“ zu geschehen. 

Alle Maßnahmen gegen Retaxationen sollten immer in enger Absprache mit dem Apothekeninhaber oder der Apothekeninhaberin erfolgen. Ist die Apothekenleitung Mitglied im Apothekerverband des jeweiligen Kammerbezirks, kann es sich lohnen, bei der zuständigen Fachabteilung nachzufragen. So berichtet der LAV-BV, bei Retaxationen seien im Einspruchsverfahren über 76 Prozent der Gelder zurückgeholt worden, Stand 2022. Für die Prüfung von Einsprüchen haben Krankenkassen drei Monate Zeit. 

Darüber hinaus kann die Apothekenleitung vor Sozialgerichten gegen eine Retaxierung klagen. Hinzu kommt die Möglichkeit, spezielle Versicherungen gegen Retaxe abzuschließen. 

Wie lassen sich Retaxe vermeiden?

Doch so weit muss es nicht kommen. An erster Stelle sollte die Apothekenleitung das Team schulen. Erkennen MItarbeitende fehlerhafte Rezepte direkt am HV-Tisch, können sie Kundinnen oder Kunden zurück in die Praxis schicken, um eine korrekte Verordnung zu erhalten. Die Rezeptprüfung im Nachgang ist sinnvoll – nicht nur als Strategie gegen Retaxe, sondern ebenfalls unter pharmazeutischem Blickwinkel.

Mit der Einführung von E-Rezepten sinkt für Apotheken auch das Retax-Risiko. Denn das Warenwirtschaftssystem stoppt den Vorgang automatisch bei formalen Fehlern. Solche E-Rezepte lassen sich nicht in die Kasse übernehmen und können nicht verbucht werden. 

Literatur