Schmerzvermeidung bei Verbandwechsel und Wundversorgung

Schmerzvermeidung bei Verbandwechsel und Wundversorgung

Ein atraumatischer Verbandwechsel beginnt weit vor dem eigentlichen Verbandwechsel.

Von großer Wichtigkeit für eine schmerzfreie Entfernung der Verbandmaterialien ist die Kenntnis über das individuelle Befinden der Betroffenen. Schmerz ist ein äußerst individuelles Erlebnis, das immer ernst genommen werden muss. Auch dann, wenn Schmerz nicht verbal geäußert wird oder werden kann, sondern auf andere Weise ausgedrückt wird.

Die Stärke des Schmerzes wird u.a. durch die persönliche Erwartungshaltung beeinflusst, meist auf Grundlage bereits gemachter Erfahrungen mit dieser oder einer vorherigen Wunde.

Einfluss von Erwartungen und Vertrauen

Wurden beim Verbandwechsel bereits schmerzhafte Erfahrungen gemacht, besteht Angst vor dem Schmerz beim nächsten Wechsel.

Der Schmerz wird erwartet und Betroffene sind darauf besonders sensibilisiert. Dadurch wird der Schmerz noch intensiver und stärker empfunden.

Auch bereits gemachte Erfahrungen mit der behandelnden Person selbst spielen eine wichtige Rolle für das Schmerzempfinden. Patientinnen und Patienten, die ihrem Behandelnden vertrauen, empfinden den Verbandwechsel häufig weniger schmerzhaft. Außerdem können Schmerzen unter Umständen so besser ertragen werden. Zur Vertrauensbildung gehören mehrere Faktoren:

  • Vorherige Erfahrungen mit dem Behandelnden
  • Gefühl, ernst und wichtig genommen zu werden
  • Kompetenz des Behandelnden
  • Ausstrahlung von Ruhe
  • Verständliche Erklärung der Schritte, die beim Verbandwechsel erforderlich sind
  • Sofortige Reaktion (Abbruch, Pause) auf Schmerzanzeichen
Definition: Atraumatischer Verbandwechsel

Der atraumatische Verbandwechsel vermeidet Schmerzen sowie die Verletzung neugebildeten Gewebes beim Entfernen des Verbands und der anschließenden Wundversorgung. Dazu werden passende, gut ablösbare und nicht verklebende Wundauflagen verwendet und verletzungsfrei entfernt, ggf. aufgeweicht. Weiter werden bei Bedarf Schmerzmittel eingesetzt.

Tipps für den Umgang mit Patientinnen und Patienten mit schmerzhaften Wunden

Zunächst gilt es in Gesprächen mit Patientinnen und Patienten herauszufinden, ob Schmerzen im Wundbereich empfunden werden.

Äußern Patientinnen und Patienten oder deren Angehörige den Verdacht auf Schmerzen im Zusammenhang mit der Wunde, muss das unbedingt ernst genommen werden. Kein noch so kleines Anzeichen von Schmerz darf einfach abgetan und muss immer mit Verständnis und einfühlsamen Reaktionen entgegengenommen werden. Auch wenn es manchmal schwer fällt, vermitteln Sie zu jeder Zeit Ruhe und Kompetenz. Denken Sie nicht an folgende Termine oder lassen sich durch etwaigen Zeitdruck unter Stress setzen. So fühlen sich Ihre Patientinnen und Patienten gut aufgehoben und im wahrsten Sinne in guten Händen.

Vertrauensfördernd wirkt, wenn Patientinnen und Patienten den Ablauf der Behandlung kennen und die Notwendigkeit der Maßnahmen verstehen. Daher sollten Sie Betroffenen und gegebenenfalls ihren Angehhörigen vor Beginn des Verbandwechsels an jeden einzelnen Schritt verständlich erklären. Vereinbaren Sie ein gemeinsames Code-Wort oder ein Handzeichen, wenn Betroffene Schmerzen erwarten. Dadurch können Sie frühzeitig reagieren und die schmerauslösende Handlung abbrechen bevor der Schmerz zu stark wird. Außerdem bekommen Patientinnen und Patienten dadurch ein Gefühl der Selbstbestimmung vermittelt, was wiederum den Schmerz mildern kann.

Verbandwechsel besser gestalten – der DRACO® Videoblog

Bei Start des Videos werden Informationen an YouTube/Google übermittelt. Mehr hierzu unter: Google Datenschutzerklärung.

Atraumatischer Verbandwechsel: die Vorbereitung

Eine gute Vorbereitung trägt dazu bei, die Dauer des Verbandwechsels möglichst kurz zu halten.

Die Behandlungsdauer spielt eine entscheidende Rolle für das Stressempfinden der Patientinnen und Patienten. Dieses wirkt sich wiederum auf das Schmerzempfinden aus. Alle Materialien, die voraussichtlich benötigt werden, sollten schnell greifbar bereit liegen. Außerdem sollten Behandelnde immer auf Ausnahmefälle vorbereitet sein und auch für diesen Fall Materialien bereitlegen.

Im Gespräch mit der Patientin oder dem Patienten sollten Behandelnde bereits vor dem Entfernen des alten Verbands abschätzen, welche Schmerzintensität erwartet wird. Geeignet für diese Bewertung sind Schmerzskalen. Außerdem kann dadurch gegebenenfalls der Zustand der Wunde abgeschätzt werden, bevor die Behandlung beginnt. Damit die Patientin oder der Patient möglichst entspannt behandelt werden kann, sollte eine bequeme Lagerung für die Behandlung angeboten werden.

Zugluft kann freiliegende Nervenenden der Wunde reizen und dadurch starke stechende Schmerzen verursachen. Daher sollte durch Schließen von Fenstern sowie entsprechende Einstellungen von Lüftungs- oder Klimaanlagen sämtliche Zugluft auf ein Minimum reduziert werden, bevor der alte Verband abgenommen wird.

Bereits bevor eine Hand an den Verband gelegt wird, sollten die Vorbereitungen für den atraumatischen Verbandwechsel getroffen werden.

Der eigentliche Verbandwechsel

Während des Verbandwechsels müssen Behandelnde sicher und konzentriert arbeiten. Das schafft Vertrauen, verkürzt die Behandlungszeit und kann so zur Vermeidung von Schmerzen beitragen.

Entfernen des alten Verbands

Die Maßnahmen zur Entfernung eines Wundverbands hängen immer von der individuellen Wund- und Verbandsituation ab.

Grundsätzlich gilt, dass kein Wundverband oder Pflaster schnell und ruckartig abgezogen werden darf. Anderenfalls könnte das empfindliche neu gebildete Gewebe mit abgerissen werden, was in jedem Fall Schmerzen verursacht. Stattdessen sollten Verbände flach über der Haut und in Haarwuchsrichtung abgezogen werden. Insbesondere bei Folienverbänden hilft ein vorsichtiges Überdehnen des Verbandes bzw. der Haut beim Ablösen. Generell muss die Wunde unbedingt vorsichtig behandelt werden, da die Nervenenden in der Wundregion ebenfalls geschädigt sein oder gar freiliegen können. Somit dürfen weder die Wunde noch die Wundumgebung unnötig berührt, gedrückt, angestoßen oder angestochen werden.

Insbesondere nässende Wunden, die mit ungeeigneten Verbandmaterialien versorgt wurden, verkleben häufig mit dem Verbandmaterial. Die Entfernung derartiger Wundauflagen ist deshalb sehr schmerzhaft. Die Verwendung von stadiengerechten Produkten aus der modernen Wundversorgung beugt solchen Situationen vor. Das Ablösen verklebter Wundauflagen kann durch Einweichen mit einer angewärmten medizinischen Spüllösung (z. B. Ringerlösung) erleichtert werden. Geeignet sind gegebenenfalls auch Pflasterentferner auf Silikonbasis.

Auf keinen Fall darf eine Wundauflage trotz Schmerzen abgerissen werden. Legen Sie stattdessen lieber Pausen ein, wenn Betroffene Schmerzen äußern oder zeigen. Versuchen Sie Ihre Patientinnen und Patienten während des Verbandwechsels in Gespräche zu verwickeln und mit wundunabhängigen Fragen abzulenken. Das Hören von Musik kann ebenfalls zur Entspannung Betroffener beitragen. Dazu können Sie Ihre Patientinnen und Patienten bitten, sich eigene Musik, z. B. auf dem Smartphone, mitzubringen oder Musik im Behandlungszimmer abspielen.

Schmerzvermeidung bei Wundbegutachtung und -reinigung

Eine schmerzende Wunde sollte nie lange freiliegen. Reinigen und begutachten Sie die Wunde vorsichtig und sorgfältig, aber so kurz wie möglich.

Nach der Entfernung des alten Verbands müssen Salbenreste, Krusten, Beläge sowie getrocknetes Blut und Exsudat entfernt werden. Dieser Vorgang kann enorme Schmerzen verursachen und das empfindliche neugebildete Gewebe schädigen. Daher muss auch hier mit äußerster Vorsicht vorgegangen werden. Reibung an der Wunde sollte unbedingt vermieden werden. Insbesondere feste Krusten sollten mit angewärmten medizinischen Lösungen eingeweicht und auf keinen Fall einfach trocken „abgepult“ werden. Geeignet sind hier z.B. in Ringerlösung getränkte sterile Kompressen.

Ablösen eines kleinen Hydrokolloidpflasters durch Überdehnung
Ablösen eines kleinen Hydrokolloidpflasters durch Überdehnung
Schmerzarmes Ablösen eines Hydrokolloidpflasters durch horizontales Überdehnen
Horizontales Überdehnen einer Hydrokolloid-Wundauflage

Anlegen des neuen Verbands

Die Verwendung idealfeuchter Wundauflagen ermöglicht längere Ruhezeiten zwischen potenziell schmerzhaften Verbandwechseln.

Das Anlegen einer neuen Wundauflage muss zügig, vorsichtig und unter Vermeidung von Druck erfolgen. Die Wundauflage sollte so gewählt werden, dass sie

  • nicht mit der Wunde verkleben kann
  • zur Art der Wunde passt
  • zur Heilungsphase passt
  • ein idealfeuchtes Milieu aufrechterhält
  • mindestens 24 Stunden auf der Wunde verbleiben kann.

Wundauflagen mit stark haftenden Kleberändern oder Wundkontaktflächen sollten vermieden werden, da diese durch die Reizung der geschädigten Nerven zusätzlich Schmerzen verursachen können.

Geeignete Wundauflagen für empflindliche Wunden sind z.B. DracoFoamDracoFoam haft sensitivDracoAlgin und DracoHydrofaser. Bei empfindlicher Wundumgebungshaut eignen sich auch DracoFoam haft sensitiv bzw. DracoFoam Infekt haft sensitiv.

Dracofoam infekt haft sensitiv bei empfindlicher Wundumgebungshaut
Geeignet für infizierte Wunden mit empfindlicher Wundumgebungshaut: DracoFoam Infekt haft sensitv.

Atraumatischer Verbandwechsel: Besondere Situationen

Ein schmerzfreier Verbandwechsel setzt jede Menge Wissen und Fachkenntnis des Behandelnden voraus, um die individuelle Situation korrekt einzuschätzen und damit angemessen umzugehen.

Schmerz durch empfindliche Wundumgebungshaut

Selbst bei adäquat ausgewählten Wundauflagen kann die Umgebungshaut gereizt werden und als Folge schmerzen. Bei empfindlicher Umgebungshaut kann vor dem Anlegen des neuen Verbands zusätzlich ein Hautschutz aufgetragen werden. Dafür eigenen sich z. B. Cavilon® oder Sensi-CareTM Hautschutz. Hautpflegeprodukte für die Wundversorgung sind als Creme, Tücher oder Spray erhältlich. Die Wahl der geeigneten Formulierung sollte gemeinsam mit der Patientin oder dem Patienten getroffen werden.

Chronische Wunden

Insbesondere bei schmerzenden chronischen Wunden kann der Verbandwechsel sehr weh tun und das Allgemeinbefinden Betroffener stark einschränken. Die Anwendung von Schmerzmitteln muss so geplant werden, dass Schmerzen möglichst gar nicht erst auftreten.

Die Wahl des passenden Analgetikums orientiert sich an patientenindividuellen Faktoren, wie

  • Einnahme von Medikamenten
  • Systemische oder lokale Anwendung anderer Analgetika
  • Allergien
  • Persönliche Präferenzen

Grundsätzlich benötigen alle infrage kommenden Schmerzmittel unabhängig von systemischer oder lokaler Anwendung mindestens 20 bis 30 Minuten bis zum Wirkungseintritt.

Als lokale Schmerztherapie für eine schmerzfreie Wundreinigung eignet sich beispielsweise die Anwendung von Emla Creme, die die Lokalanästhetika Lidocain und Prilocain enthält. Vor der Reinigung der Wunde sollte die Creme 30 bis 60 Minuten einwirken (siehe Gebrauchsinformation). Ebenfalls geeignet für eine schmerzfreie Wundreinigung ist die Anwendung von Morphin-haltigen Hydrogelen, die allerdings dem Betäubungsmittelgesetz  und der ärztlichen Verordnung unterliegen. Diese müssen ebenfalls mindestens 30 Minuten einwirken und können bis zu 24 Stunden auf der Wunde belassen werden. Der Einsatz von Lokalanästhetika kann keine systemische Schmerztherapie bei chronischen Schmerzen ersetzen und dient lediglich dem Management von Situationen wie dem Verbandwechsel.

Systemische Analgetika können situationsbedingten Schmerzen ebenfalls adäquat entgegenwirken, wenn diese rechtzeitig eingenommen werden. Patientinnen und Patienten können die Schmerzmittel z.B. bereits zu Hause einnehmen. Der Wirkspiegel tritt im Allgemeinen 20 bis 30 Minuten nach der Einnahme ein und ist dann zum Zeitpunkt der Behandlung erreicht.

Weitere Problemwunden

Bei tiefen oder entzündeten Wunden kann die Wundreinigung oder auch der gesamte Vorgang des Verbandwechsels unter Lokalanästhesie oder sogar Vollnarkose indiziert sein, um Betroffenen Schmerzen zu ersparen. Die notwendigen Maßnahmen müssen immer situationsbedingt getroffen werden. Insbesondere bei großen komplizierten Wunden oder bei Tumorwunden in der Palliativpflege sollte der Verbandwechsel zügig mithilfe einer zweiten Person durchgeführt werden.

Bei Alters- und Pergamenthaut sollten Wundauflagen mit Silikonhaftrand statt Polyacrylat-Kleber angewendet werden. Für besonders empfindliche Wunden eignet sich die Wundauflage DracoTüll Silikon.

Die Autorin Dr. Roxane Lorenz
Dr. Roxane Lorenz

Nach ihrem Studium der Biologie an der Ruhr-Universität Bochum promovierte Dr. Lorenz zum Dr. rer. nat. Seit 2012 ist sie in der medizinisch-wissenschaftlichen Abteilung bei Dr. Ausbüttel tätig, seit 2018 auch als Leiterin dieser Abteilung sowie der Forschungsabteilung.